Am Arbeitsplatz droht der Demokratieabbau

Mehrere Personen sitzen vereinzelt an Tischen

Das Arbeitsgericht Braunschweig hat einer AfD-nahen Pseudo-Gewerkschaft den Zugang zu VW verwehrt. Doch der Kampf um die betriebliche Mitbestimmung beginnt erst.

Das Gericht untersagte dem AfD-nahen Verein Zentrum den Zutritt zum VW-Werk in Isenbüttel. Die selbsternannte “alternative Gewerkschaft” wollte dort erstmals Vertrauensleute wählen lassen. Volkswagen lehnte dies ab und verwies auf fehlende Tariffähigkeit und zu wenige Mitglieder:innen im Betrieb. Das Gericht entschied, die vorgelegten Nachweise seien zu pauschal und belegten nicht ausreichend, dass Zentrum-Mitglieder:innen am Standort arbeiten – eine Grundvoraussetzung für den Zugang.

Zentrum gibt an, sechs Mitglieder:innen unter den knapp 150 Beschäftigten des Standorts zu haben. Eine entsprechende Liste legte der Verein vor, doch weder beim Kammertermin noch beim vorherigen Gütetermin kam es zu einer Einigung mit VW. Zwar ist es erfreulich, dass das Gericht Zentrum den Zugang zunächst verweigert hat, doch die Entscheidung bleibt schwach: Sie stützt sich allein auf formale Gründe. Es ist absehbar, dass der Richterspruch die Vereinigung kaum aufhalten wird. Sobald der Verein mehr Mitglieder:innen vorweisen kann, wird er erneut angreifen.

Eine rechtsextreme Pseudo-Gewerkschaft

Irrtümer und Mythen rund ums ArbeitsrechtSeit Jahren breitet sich die Organisation, 2009 als “Zentrum Automobil” im Mercedes-Benz-Werk in Stuttgart-Untertürkheim gegründet, in der Automobilindustrie aus. 2010 zog sie dort mit einer eigenen Liste erstmals in den Betriebsrat ein, später auch bei Daimler in Rastatt und Sindelfingen. Ein sächsischer Ableger schaffte 2018 den Einzug in die Betriebsräte bei BMW und Porsche in Leipzig. Im VW-Werk in Zwickau errang das sogenannte Bündnis freier Betriebsräte bei den Wahlen Anfang des Jahres vier von 37 Mandaten – hinter der Liste steht ebenfalls Zentrum.

Diese Entwicklung ist gefährlich. Zentrum ist eng mit der AfD, dem rechtsextremen Magazin “Compact” und dem Verein “Ein Prozent” verbunden, einem Netzwerk der Neuen Rechten. Gründer und Vorsitzender Oliver Hilburger war einst Mitglied der Christlichen Gewerkschaft Metall. Nachdem bekannt wurde, dass er in einer der einflussreichsten Neonazi-Bands der 2000er spielte, schloss die Gewerkschaft ihn aus. Daraufhin gründete er eine alternative, rechtsextreme Gewerkschaft, um die sozialdemokratisch geprägten DGB-Gewerkschaften, die die betriebliche Mitbestimmung in Deutschland prägen, zu schwächen. Der Kampf um die Betriebe ist Teil eines größeren politischen Projekts.

Etablierte Strukturen lassen sich leicht beschädigen

In Hannover leitet Jens Kellner, ein ehemaliges Ver.di-Mitglied, die Geschäftsstelle von Zentrum. Kellner, zugleich AfD-Mitglied und Fraktionsführer im Stadtrat von Hannover, erhielt bei den letzten Personalratswahlen des kommunalen Entsorgungsunternehmens aha für Ver.di die meisten Stimmen. Ver.di wollte ihn ausschließen, scheiterte jedoch. Inzwischen hat Kellner die Gewerkschaft verlassen und bei Zentrum eine neue Funktion gefunden. Sein Fall zeigt, wie leicht sich etablierte Strukturen beschädigen lassen.

AfD-Politiker:innen unterstützen Zentrum offen. Der niedersächsische Bundestagsabgeordnete Dirk Brandes lobte die Vereinigung auf Facebook als AfD-nahe Arbeitnehmervertretung, die im Gegensatz zur IG Metall “wirklich den Arbeitsplatz und nicht die grüne Ideologie im Blick” habe. Zentrum inszeniert sich als Stimme der “echten Arbeiter”, untergräbt jedoch systematisch demokratische Strukturen. Auf seiner Website diffamiert der Verein Betriebsräte pauschal als korrupte Co-Manager und verächtlicht Gewerkschaften als Teil eines linken Establishments. Betriebsräte berichten, dass sie durch rechtsextreme Mitglieder:innen – sei es über Zentrums-Listen oder Personenwahlen – kaum noch ihre eigentliche Arbeit leisten können. Stattdessen müssen sie sich mit der rechtsextremen Opposition auseinandersetzen.


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Arbeitgeber dürfen sich nicht verstecken

Zentrum will nicht mitgestalten, sondern Belegschaften spalten und betriebliche Unzufriedenheit für politische Zwecke nutzen. Der Arbeitsplatz, eigentlich ein Ort demokratischer Erfahrung, wird so zur Bühne autoritärer Erzählungen. Zentrum strebt nicht nur Mitsprache an, sondern will die Deutungshoheit über die Arbeitswelt übernehmen. Die Betriebsratswahl 2026 ist kein Ziel, sondern ein Mittel, um demokratische Strukturen von innen heraus zu schwächen. Es ist zu erwarten, dass der Verein gegen das Urteil Berufung einlegt und sich durch alle Instanzen klagt. Sobald er formal genügend Mitglieder:innen vorweisen kann, wired es schwer, sein weiteres Erstarken juristisch zu verhindern.

Im Kampf um die betriebliche Mitbestimmung braucht es mehr als Gerichtsentscheidungen. Gewerkschaften und Arbeitgeber müssen zusammenstehen. Vor allem Arbeitgeber dürfen sich nicht hinter Neutralität verstecken. Betriebliche Mitbestimmung ist mehr als ein arbeitsrechtliches Instrument – sie ist gelebte Demokratie. Das Betriebsverfassungsgesetz ermöglicht Beschäftigten, ihre Interessen zu vertreten, Konflikte auszuhandeln und Verantwortung zu übernehmen. Der Arbeitsplatz wird so zu einem Ort, an dem Demokratie konkret erfahrbar wird. Wenn rechtsextreme Kräfte diese Strukturen unterwandern, verliert die Arbeitswelt ihre demokratische Stabilität.

Wer Demokratie im Betrieb will, muss sie aktiv verteidigen. Das heißt, sich klar gegen rechtsextreme Organisationen zu stellen, die Mitbestimmung für ihre Ideologie missbrauchen. Der Betrieb ist kein politikfreier Raum, sondern ein Ort gesellschaftlicher Verantwortung. Wer rechtsextremen Kräften Platz lässt, gefährdet nicht nur den sozialen Frieden, sondern auch die Zukunft der demokratischen Arbeitswelt. Das Urteil ist ein Etappensieg, doch der Kampf um Demokratie im Betrieb hat erst begonnen.


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Tina Groll

Tina Groll, SPIEGEL-Bestsellerautorin und Redakteurin bei ZEIT ONLINE im Ressort Politik & Wirtschaft, konzentriert sich als Autorin von WIR SIND DER WANDEL auf Arbeitsmarkt-, Sozial- und Gesundheitspolitik. 2008 zeichnete sie das Medium Magazin als eine der “Top 30 Journalisten unter 30 Jahren” aus. Ferner ist sie Mitglied im Deutschen Presserat.