Das Bundesverfassungsgericht stärkt das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und legt fest, wie weit der Glaube im Berufsleben reichen darf. Ein Urteil über Freiheit, Identität und die Schranken des Rechts.
Wie weit dürfen kirchliche Arbeitgeber gehen, wenn sie Glaubenszugehörigkeit zur Bedingung machen? Das Bundesverfassungsgericht hat die Balance zwischen Religionsfreiheit und Diskriminierung neu justiert – und damit das kirchliche Arbeitsrecht neu ausgerichtet (Az. 2 BvR 934/19).
Eine evangelische Organisation schreibt eine Projektstelle aus. Voraussetzung: Mitgliederschaft in einer Kirche der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen. Eine konfessionslose Bewerberin meldet sich – und wird abgelehnt. Sie klagt. Die Arbeitsgerichte geben ihr Recht und verurteilen den Arbeitgeber zu einer Entschädigung wegen Diskriminierung. Doch der Fall reicht tiefer: Darf eine Kirche verlangen, dass Mitarbeitende ihren Glauben teilen? Oder verletzt das das Gleichbehandlungsrecht?
Europas Einfluss und Karlsruhes Urteil
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) folgt der Linie des Europäischen Gerichtshofs (EuGH): Nationale Gerichte müssen prüfen, ob die Kirchenmitgliedschaft eine „wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte“ berufliche Anforderung ist. Karlsruhe sieht das anders.
Am 29. September 2025 urteilt das Bundesverfassungsgericht: Das BAG hat das religiöse Selbstbestimmungsrecht der Kirche zu wenig beachtet. Artikel 4 des Grundgesetzes – die Freiheit des Glaubens – schützt auch Institutionen, die ihr religiöses Ethos in der Arbeitswelt leben. Dieses Recht dürfe nicht durch eine einseitige Anwendung des Gleichbehandlungsgesetzes verdrängt werden.
Die Karlsruher Richter:innen betonen: Der Vorrang des Unionsrechts bleibt bestehen. Doch innerhalb dieses Rahmens haben die Mitgliedsstaaten Spielräume. Nationale Gerichte müssen europäische Vorgaben berücksichtigen, aber zugleich die verfassungsrechtliche garantierte Religionsfreiheit wahren.
Ein klarerer Kompass für das kirchliche Arbeitsrecht
Karlsruhe präzisiert die Prüfung: Gerichte müssen künftig in zwei Schritten entscheiden, ob die Forderung nach Kirchenmitgliedschaft gerechtfertigt ist.
- Plausibilitätsprüfung:
Die Religionsgemeinschaft muss darlegen, warum die Zugehörigkeit zur Kirche für eine bestimmte Tätigkeit notwendig ist. - Abwägung:
Die Gerichte wägen ab – zwischen Diskriminierungsschutz und dem Gewicht des religiösen Selbstverständnisses.
Je stärker eine Position das kirchliche Ethos prägt, desto mehr zählt das Selbstbestimmungsrecht. Das Bundesverfassungsgericht hebt das Urteil des BAG (AZ. 8 AZR 501/14) (https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/8-azr-501-14/) auf und verweist den Fall zurück. Es fordert die Arbeitsgerichte auf, sensibler mit dem Spannungsfeld zwischen Glaubensfreiheit und Gleichbehandlung umzugehen.
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Ein neuer Maßstab für Glauben und Arbeitswelt
Der Beschluss bringt Klarheit, aber keine einfachen Antworten. Kirchliche Arbeitgeber erhalten Rückendeckung, ihr religiöses Profil zu wahren. Gleichzeitig stellt Karlsruhe sicher, dass der Diskriminierungsschutz nicht ausgehöhlt wird.
Das Urteil markiert einen Wendepunkt: Weder absolute kirchliche Autonomie noch schrankenlose Gleichbehandlung, sondern ein verfassungsrechtlicher Ausgleich. Es ist ein Lehrstück in juristischer Balance – und ein Signal, wie Differenz und Freiheit in einer sich wandelnden Arbeitswelt zusammenfinden können.
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