Vor Gericht zu gehen kostet immens viel Zeit, Geld und Nerven. Und ob sich der Einsatz am Ende lohnt, ist mehr als fraglich. Die Juristin Manuela Reibold-Rolinger zeigt, wie man ohne Richter zu seinem Recht kommt.
Viele Länder beneiden uns um unsere Justiz. Hervorragend ausgebildete Juristen und ausgereifte Gesetze sorgen hierzulande dafür, dass wir alle uns auf faire, rechtsstaatliche Gerichtsverfahren verlassen können. Findet jemand sein Urteil ungerecht, verfügt er über eine ganze Bandbreite an Möglichkeiten, seinen Fall wieder und wieder bewerten zu lassen, bis der Richterspruch endlich rechtsgültig wird. Auch darf jeder jeden verklagen – und das ist auch gut so. Denn all dies gehört zu einem Rechtsstaat untrennbar dazu.
Es gibt allerdings auch Probleme, und zwar ziemlich große: Die Gerichte sind seit vielen Jahren völlig überlastet und für Kläger wie Beklagte sind Gerichtsprozesse langwierig und teuer. Nicht selten wird auch die schwächere Partei benachteiligt, indem die stärkere Partei die Gerichtsurteile unangemessen hinauszögert. Der größte Stolperstein ist aber, dass der Gang vor Gericht den Beteiligten und ihren Familien viel Durchhaltevermögen abverlangt.
Werden Auseinandersetzung autoritär beendet, ist das nur selten befriedigend
Ich will zeigen, dass vor Gericht die Suche nach Gerechtigkeit eine „Tour de force“ ist, die ihre Spuren hinterlässt. Nun fragen Sie sich sicherlich, warum ich als Anwältin davon abrate, vor Gericht zu gehen. Die Antwort: Nicht selten sind sich Mandanten, die sich auf eine Klage einlassen, der Tragweite ihrer Entscheidung im Vorfeld bewusst. Leider ist der Ruf nach dem Kadi eingeübt; wer einen Konflikt nicht selber lösen kann, schaltet eine Autoritätsperson ein. Dabei müsste das Ergebnis längst klar sein: Wird eine Auseinandersetzung autoritär beendet, ist das nur selten befriedigend. Trotzdem ist der Gang vor Gericht zur Routine geworden – obwohl es hier oft nur Verlierer und keine Gewinner gibt.
Manuela Reibold-Rolinger ist Fachanwältin für Bau-und Architektenrecht und berät seit über 20 Jahren private Bauherren. Neben dem Verbraucherbaurecht ist Manuela Reibold-Rolinger auf die Themen Vertragsrecht, Wohneigentumsrecht, Mietrecht und die Beratung rund um Wohnimmobilien spezialisiert. 2019 veröffentlichte sie ihr neustes Buch Kein Grund zur Klage! Wie Sie ohne Richter zu Ihrem Recht kommen.
Ich will Ihnen keine Angst vor Gerichtsverfahren machen. Ich möchte Sie aber darüber aufklären, was auf Sie zukommt, wenn Sie sich für diesen Schritt entscheiden. Ferner will ich zeigen, dass es für die meisten Streitigkeiten eine bessere Alternative gibt, nämlich die außergerichtliche Streitbeilegung in Form von Mediation und Schlichtung:
- Im gerichtlichen Verfahren ist man der Autorität des Gerichts und der Unpersönlichkeit der Gesetze und Paragrafen ausgeliefert.
- In Mediation und Schlichtung gestaltet man eigenverantwortlich und gemeinsam mit der Gegenseite die individuelle Lösung des Konfliktes.
Gemeinsam Schritt für Schritt in eine neue Streitkultur
Im Vergleich zu den gerichtlichen Verfahren bedeuten Mediation und Schlichtung für die streitenden Parteien weniger Zeitaufwand, geringere Kosten, überschaubaren Nerveneinsatz und nachhaltigere Lösungen, bei denen sich beide Seiten als Gewinner fühlen können. Es gilt also, verhängnisvolle Denkroutinen wie „Ich will eine gute Lösung“ statt „Den verklag ich!“ aufzubrechen, sowie mehr auf Eigenverantwortung zu setzen. So geht es gemeinsam Schritt für Schritt in eine neue Streitkultur.
Meiner beruflichen wie privaten Erfahrung nach lassen sich mindestens 90 Prozent aller Streitigkeiten durch die oben genannten Präventionsmaßnahmen vermeiden. Eigentlich sollten sie Selbstverständlichkeiten sein. Doch ich habe den Eindruck, dass immer weniger Menschen die Fähigkeit besitzen, in Frieden miteinander auszukommen. Sie sehen nur sich selbst, nicht die Gesamtsituation.
Ist das Ziel eine perfekte Harmonie?
Natürlich nicht! So etwas gibt es einfach nicht und ich weiß auch nicht, ob es dann nicht schnell langweilig würde in der Welt. Man darf auch mal unterschiedlicher Meinung sein und es muss auch nicht immer alles glattgebügelt werden. Genauso wenig ist es ein Weltuntergang, wenn der eine auf den anderen sauer ist. Solche Unebenheiten gehören einfach dazu. Wer bei sich anbahnenden Konflikten dem anderen jedoch zuhört, ohne gleich zu bewerten und zu rufen: „Ja, aber…“, gibt den Gefühlen und Interessen des Gegenübers Raum. Viel mehr braucht es oft gar nicht, um einen Streit zu vermeiden. Es liegt also zu einem großen Teil in der eigenen Verantwortung, ob man sein Dasein mit Streitereien verplempert, oder ob man genug Energie, Zeit und Geld hat, um die schönen Dinge des Lebens zu genießen.
Meine Idealvorstellung ist, dass Menschen aufeinander zugehen und sich großzügig zeigen. Und dass sie im Streitfall nicht gleich vor Gericht rennen, wo das Problem auf autoritäre Weise beendet wird, sondern sich auch hier in ihrer eigenen Verantwortung sehen: „Ich werde im Gespräch mit der Gegenseite den Streit lösen. Gemeinsam werden wir den Ärger aus der Welt schaffen. Und wenn uns das nicht gelingen will, dann holen wir uns eben jemanden, der uns dabei hilft.“ Das Zauberwort heißt: Konfliktprävention durch Kompetenz. Wer sich empathisch und souverän verhält, lässt die allermeisten Streitigkeiten erst gar nicht entstehen und verschafft sich und seinen Mitmenschen eine enorme Lebensqualität. Und wenn es doch einmal zum Streit kommt, sorgen dieselben Fähigkeiten – Empathie und Souveränität – für ein gutes Ende. Das gilt übrigens für alle Lebensbereichen wie der Arbeitswelt, der Familie, zwischen Bauvertragspartnern, Kunden und Unternehmen.
Lernen, mit Menschen zu sprechen, die nicht unserer Meinung sind
Bundespräsident Steinmeier hat es in seiner Weihnachtsansprache 2018 genau auf den Punkt gebracht: „Sprechen Sie mit Menschen, die nicht Ihrer Meinung sind … und schweigen Sie nicht. Wir müssen lernen mit Menschen zu sprechen, die nicht unserer Meinung sind, ohne Schaum vor dem Mund zu haben.“ Wie dies gelingen kann, zeige ich in meinem Buch „Kein Grund zur Klage! Wie Sie ohne Richter zu Ihrem Recht kommen“. Ein Handbuch für jeden, der in einem Konflikt steht und einen schnellen und lebensnahen Lösungsweg sucht.
Mehr Informationen im SPIEGEL-Bestseller:
Was Chefs nicht dürfen – und was doch
von Sabine Hockling und Ulf Weigelt
Ullstein Verlag (1. Auflage, Juni 2017)
9,99 Euro (D)
ISBN 978-3-548-37694-3
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