Ein psychisch kranker Mann hat vor dem Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg keinen Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente durchsetzen können – weder vollständig noch teilweise. Die Entscheidung des Gerichts wirft Fragen auf, vor allem zur Bewertung psychischer Erkrankungen im Rentenrecht.
Der Antragsteller, Jahrgang 1966, ist seit über 20 Jahren arbeitslos und lebt von Leistungen nach dem SGB II. Trotz mehrfacher ärztlicher Diagnosen psychischer und körperlicher Leiden wies der Rentenversicherungsträger seinen Antrag aus dem Jahr 2018 zurück. Auch vor dem Sozialgericht Reutlingen und in der Berufung vor dem LSG Baden-Württemberg (Az.: L 13 R 276/22) scheiterte er.
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Ausschlaggebend war ein medizinisches Gutachten, das keine ausreichende Einschränkung der Arbeitsfähigkeit feststellte. Es fehlte laut Gutachten an einer gesicherten gesundheitlichen Störung, die eine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 SGB VI rechtfertigen würde.
Psychisch Erkrankte haben höhere Nachweishürden als körperlich Kranke
Bemerkenswert ist die Begründung des Gerichts: Eine psychische Erkrankung sei nur dann rentenrelevant, wenn sie das gesamte Arbeitsleben erheblich beeinträchtigt – nicht allein die Arbeitsfähigkeit. Die Richter:innen verweisen zudem auf die familiäre Unterstützung durch die Tochter, die möglicherweise einen „sekundären Kranheitsgewinn“ bewirke und das Krankheitsbild beeinflusse.
Diese Argumentation stößt auf Kritik: Sie legt psychisch Erkrankten höhere Nachweishürden auf als körperlich Kranken. Fachleute bemängeln, dass das Gericht nicht allein die Erwerbsfähigkeit bewertete – obwohl dies laut Gesetz (§ 43 SGB VI) der Maßstab sein sollte. Stattdessen rückte die private Lebensführung in den Fokus, was viele als problematische Ausweitung des Prüfkriteriums sehen. Expert:innen warnen, dass solche Maßstäbe psychisch Kranke benachteiligen könnten, und fordern eine differenzierte, gesetzeskonforme Anwendung der Vorgaben.
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