Überstunden: Unternehmen müssen handeln

Blick vom Schreibtisch auf Skyline

Überstunden stehen nicht nur der Work-Life-Balance im Weg, sie führen in einigen Fällen auch zu Streit mit dem Vorgesetzten. Ab 1. August müssen Unternehmen ihre Beschäftigten über die Überstunden-Regel informieren – und zwar eindeutig.

Urlaubszeit heißt für alle, die im Betrieb noch die Stellung halten, bisweilen viele Überstunden. Kommt es dabei zum Streit mit dem Vorgesetzten – nämlich darüber, ob und wie eigentlich mit den geleisteten Überstunden umgegangen wird –, verweisen Vorgesetzte nicht selten auf pauschale Regelungen im Arbeitsvertrag, wonach sämtlich Überstunden mit dem Gehalt abgegolten seien. Oder auf die Vertrauensarbeitszeit.

Doch so einfach ist das nicht. Vertrauensarbeitszeit gibt es nach dem sogenannten Stechuhr-Urteil des Europäischen Gerichtshof aus dem Jahr 2019 gar nicht (mehr). Unternehmen müssen immer die Arbeitszeit erfassen (Az. C-55/18). Und künftig müssen sie auch ihre Beschäftigten genau darüber informieren, wie im jeweiligen Betrieb mit der Mehrarbeit umgegangen wird. Denn ab dem 1. August 2022 wird eine EU-Richtlinie (2019/1152) über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in nationales Recht umgesetzt. Künftig sind Arbeitgeber dazu verpflichtet, ihre Beschäftigten darüber aufzuklären, ob Überstunden überhaupt angeordnet werden können, inwiefern sie bezahlt oder ausgeglichen werden.

Künftig müssen Arbeitgeber Auskunft geben

Irrtümer und Mythen rund ums ArbeitsrechtLeider existiert kein Rechtsanspruch darauf, dass Überstunden auch bezahlt werden müssen. Es kommt, wie so oft im Arbeitsrecht, auf den Einzelfall an. Im besten Fall gibt es einen Tarifvertrag, der auch im Unternehmen gilt. Sofern es eine tarifliche Regelung zur Bezahlung von Überstunden gibt, wird diese einfach angewandt. Meistens gibt es auch noch einen Überstundenzuschlag. Anzusprechen sind in diesem Fall der Betriebsrat oder die Gewerkschaft. Manchmal kommt auch die Anwendung eines Branchen-Tarfivertrags infrage, selbst wenn das Unternehmen nicht tarifgebunden ist. Das ist oft der Fall, wenn zu den Überstunden gar nichts geregelt ist, aber in der Branche ein Tarifvertrag gilt, wonach Überstunden bezahlt werden müssen.

Oft finden sich aber Regeln im Arbeitsvertrag – dann kann man darauf pochen. Häufiger jedoch stehen pauschale Abgeltungsklauseln im Arbeitsvertrag. Dann kommt es auf den genauen Wortlaut an. Steht da zum Beispiel eine Konkretisierung, etwa dass “Überstunden nicht gesondert vergütet werden, sondern mit dem Gehalt abgegolten sind, soweit sie einen Umfang von drei Stunden pro Woche oder zehn Stunden pro Kalendermonat nicht überschreiten”, kann die Klausel gültig sein, sofern alle darüber hinausgehenden Überstunden bezahlt werden. Nicht wirksam sind hingegen ganz pauschale Regelungen, wonach generell alle Überstunden mit dem Gehalt bezahlt seien. Wenn im Arbeitsvertrag gar nichts geregelt ist, hat man ab dem 1. August Anspruch auf Auskunft, wie der Arbeitgeber vorgehen will – und damit eine Handhabe, auf eine Kompensation zu pochen.

Trödeln ist keine Überstunde

Das geht auch mit Freizeitausgleich – es sei denn, das ist in Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag ausgeschlossen. Und wenn Überstunden in einem Unternehmen “normal” sind, hilft das Gesetz ebenfalls weiter. Denn das Arbeitszeitgesetz schiebt einem möglichen Missbrauch einen Riegel vor: Es sieht grundsätzlich eine Höchstarbeitszeit von acht Stunden werktäglich vor – von Montag bis Samstag. Sie kann um zwei weitere Stunden verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen der Durchschnitt von acht Stunden pro Werktag nicht überschritten wird. Damit ist sowieso gesetzlich geregelt, dass Überstunden nicht zum Normalfall werden dürfen. Besondere Regelungen gelten außerdem für schwerbehinderte Beschäftigte (sie sind auf Wunsch auszunehmen), Jugendliche (nicht mehr als acht Stunden täglich) und werdende Mütter über 18 Jahre (maximal achteinhalb Stunden je Tag oder 90 Stunden in der Doppelwoche).

Wer hingegen einfach länger braucht für die Arbeit, weil er oder sie trödelt, viel Zeit in der Kaffeeküche verbringt oder im Büro noch zwei Stunden bis zum Beginn einer Kinovorstellung verbringt, leistet natürlich keine Mehrarbeit, selbst dann nicht, wenn er oder sie in dieser Zeit arbeitet. Wer eigenständig länger arbeitet als gefordert, hat kein Recht auf eine Vergütung. Und streng genommen auch nicht auf einen Freizeitausgleich.

Es ist immer entscheidend, ob der Arbeitgeber Überstunden anordnet

Denn juristisch gesehen ist eine Überstunde nur die Arbeitszeit, die über die vertraglich vereinbarte Zeit hinausgeht. Man nennt sie daher auch Über-Arbeitszeit. Als Mehrarbeitszeit hingegen wird die Arbeitszeit bezeichnet, die länger dauert als die gesetzlich zulässige regelmäßige Arbeitszeit. Daher ist immer entscheidend, ob der Arbeitgeber die Überstunden angeordnet, gebilligt oder geduldet hat. Und ob die Überstunden überhaupt nötig waren, damit die aufgetragene Arbeit erledigt werden konnte.

Auf der sicheren Seite sind Beschäftigte, wenn sie ihre Arbeitszeit selbst protokollieren oder erfassen. Es gibt unzählige Tools und Apps, aber selbst handschriftliche Notize sind hilfreich und bei fehlender betrieblicher Arbeitszeiterfassung meist sogar gerichtsfest. Dann kann man im Streitfall auch nachweisen, an welchen Tagen man wie lange gearbeitet hat. Gut ist es, wenn aus den Aufzeichnungen auch hervorgeht, ob der Arbeitgeber die Überstunden angeordnet oder zumindest geduldet hat, zum Beispiel, weil spät am Abend noch Nachrichten mit dem Vorgesetzten ausgetauscht wurden.

Am Besten ist aber, den Arbeitgeber zu informieren, bevor man Überstunden macht. Also gleich sagen, dass die Fertigstellung eines Projekts in der Urlaubszeit einfach länger dauern wird, man dafür zum Beispiel fünf Überstunden machen muss. Wichtig ist, das so früh zu kommunizieren, dass der Arbeitgeber noch ein Veto einlegen kann. Und nach den Überstunden sollten Mitarbeitende erneut den Chef über die Überstunden informieren. Klingt nervig, hilft aber, vor allem, wenn bisher in der Firma selten auf die Arbeitszeiteinhaltung geachtet wird. Für einige Unternehmen ist das häufig die Motivation, eine Arbeitszeiterfassung einzuführen.


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Tina Groll

Tina Groll arbeitet hauptberuflich als Redakteurin bei ZEIT ONLINE im Ressort Politik & Wirtschaft. 2008 zeichnete sie das Medium Magazin als eine der “Top 30 Journalisten unter 30 Jahren“ aus. Sie ist Mitglied im Deutschen Presserat sowie als Vorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union tätig. Als Autorin von WIR SIND DER WANDEL beschäftigt sie sich mit der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Gesundheitspolitik.