Die Buchverlagsbranche steht nicht erst seit der Corona-Krise unter Druck. Und obwohl sie dringend handeln muss, tut sie es nicht. Wie man sich den Herausforderungen stellen sollte, zeigt Antonia Schulemann mit ihrer Verlagsgründung.
Die Digitalisierung, die rückläufigen Buchverkäufe, die gesunkene durchschnittliche tägliche Lesedauer von gedruckten Büchern, die Corona-Krise, die steigenden Papierpreise – die Buchverlagsbranche ist enorm unter Druck. Sie muss sich dringend ihren Herausforderungen stellen, tut es jedoch kaum bis gar nicht.
Die Aufgabe von Buchverlagen ist Themen zu identifizieren, Autoren zu finden, sie zu beraten und zu betreuen sowie die inhaltliche und technische Qualität der Werke sicherzustellen. Dafür gehen sie erhebliche finanzielle Risiken ein. So zumindest war es einmal. Im Zeitalter von „Print on Demand“ können kleine Auflagen gedruckt werden und ist das finanzielle Risiko kaum noch vorhanden. Im schlechtesten Fall (für Autoren) wird die gesamte Produktion in Billiglohnländer wie Indien ausgelagert. Und die Autoren, die sich einst „nur“ auf ihre zu verfassenden Werke konzentrieren mussten, sind mittlerweile allein für die Qualitätssicherung ihrer Werke verantwortlich. Eine intensive Betreuung durch Lektoren findet so gut wie gar nicht mehr statt – so düster sieht das Bild zumindest bei Wissenschaftsverlagen mittlerweile aus.
Die Große Hamburger Straße war bereits vor der Wende der kreative Kiez in Berlin Mitte
Das geht besser, ist Antonia Schulemann überzeugt. Die Verlegerin war jahrelange im Marketing für große Unternehmen tätig und hat selbst als Schriftstellerin und Journalistin Bücher und Texte veröffentlicht. Und weil sie an das gedruckte Wort glaubt und sich sicher ist, dass die Digitalisierung eine große Chance für Buchverlage ist, gründete sie 2021 ihren Buchverlag Große Hamburger Medienhaus Berlin. Die Große Hamburger Straße war bereits vor der Wende der kreative Kiez in Berlin Mitte. Und auch wenn es mittlerweile saturierter geworden ist, sind hier immer noch viele Kreative zu Hause. Ein Grund für Antonia Schulemann, ihr Unternehmen hier zu gründen – und es auch so zu nennen. Dabei steht das GH Medienhaus auf drei Säulen: Den Buchverlag Books on Mars, die Buchhandlung in der Große Hamburger Straße (die Verlagspublikationen sowie Vintage-Bücher verkauft) sowie das Corporate Publishing (mit dem Schwerpunkt Unternehmerbiografien).
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Wir sind der Wandel: Was ist die Aufgabe von Buchverlagen?
Antonia Schulemann: Die Aufgabe der Buchverlage ist, Bücher und Autoren sichtbar zu machen, ihnen eine Plattform zu geben. Viele Buchverlage haben sich mittlerweile aber aus unterschiedlichen Gründen dagegen entschieden. Sie werfen Bücher auf den Markt, in der Hoffnung, dass eines davon ein Verkaufsschlager wird. Sie sparen an Stellen wie dem Lektorat, was zulasten der Qualität geht. Insgesamt sollen etwa 80 Prozent der veröffentlichten Bücher in Deutschland floppen.
Wir sind der Wandel: War das Ihre Motivation, einen Buchverlag zu gründen?
Schulemann: Buchautor:innen kennen sich mit ihren Themen aus, in der Regel fällt es ihnen aber schwer, sich ihre Leser:innen vorzustellen. Sie gehen davon aus, dass sich alle für ihr Thema interessieren. Dem ist aber nicht so. Deshalb braucht es für ihre Werke eine gezielte Zielgruppenansprache sowie ein individuelles Vermarktungskonzept – was viele Buchverlage mittlerweile nicht mehr bieten. Darauf konzentrieren wir uns bei Große Hamburger Medienhaus Berlin.
Wir sind der Wandel: Warum ist das so?
Schulemann: Die Spiegel-Bestsellerlisten von vor 30 Jahren folgten einem stringenteren Konzept; Verlage und Lektoren konnten besser einschätzen, was Leser:innen sich wünschten. Heute haben wir einen wilden Mix aus fast willkürlichen Themen und Trends, die kaum greifbar sind. So kommen auch Überraschungserfolge wie beispielsweise Harry Potter, Darm mit Charme oder Fifty Shades of Grey zustande. Erfolge, die sich keiner erklären und in die man sich nicht konzeptionell reindenken kann. Wo die Zielgruppe so abstrakt ist, dass man sich das noch nicht einmal als Nische vorstellen kann.
Ich finde das sehr gefährlich, denn die Konkurrenz zum Buch ist mittlerweile unglaublich groß
Wir sind der Wandel: Um aktuelle Trends und Veränderungen erkennen zu können, werden Zielgruppenanalysen durchgeführt. Machen Verlage das nicht auch, um ihren Markt und ihre Zielgruppen zu verstehen?
Schulemann: Um das Marktpotenzial einschätzen zu können, sollte ein Verlag ein Exposé bzw. Buch grundsätzlich analysieren. Nur so findet er heraus, wie die Zielgruppe zu erreichen und wie das Buch zu skalieren ist. Denn das ist in der Regel der Zweck einer Wettbewerbsanalyse. Die aber ist aufwendig und wird daher von Verlagen nicht mehr gemacht.
Ich finde das sehr gefährlich, denn die Konkurrenz zum Buch ist mittlerweile unglaublich groß. Viele Konsument:innen greifen weniger zur Lektüre und schauen verstärkt Serien. Was nicht heißt, dass das Unterhaltungsniveau gesunken ist. Viele Serien sind clever gemacht und anspruchsvoll. Darauf hat die Verlagsbranche jedoch keine andere Antwort als viel auf den Markt zu werfen – in der Hoffnung, dass ein Überraschungserfolg dabei ist. Finanziert wird am Ende dieses Vorgehen von den Bestseller-Autor:innen und Lizenzen. Daher verstehe ich nicht, warum Verlage auf Wettbewerbsanalysen verzichten. Wir als kleiner Verlag machen für jedes Buch eine entsprechende Analyse.
Wir sind der Wandel: Wie sieht das konkret aus?
Schulemann: Parallel zur Erarbeitung des Sujets entwickeln wir ein Konzept: Wer ist Zielgruppe? Wo steht das Buch auf dem doch sehr überlaufenen deutschen Markt? Wo muss es zu kaufen sein? Welche Vertriebsmaßnahmen sind wichtig? Diese Gedanken machen wir uns, bevor Autor:innen oder unsere Ghostwriter:innen mit dem Manuskript anfangen. Finden wir darauf gute Antworten, sprechen wir uns für eine Veröffentlichung aus.
Kommen beispielsweise Unternehmer:innen mit dem Wunsch einer Buchveröffentlichung auf uns zu, bringen sie häufig Geschichten mit, die auf den ersten Blick interessant sind. Dahinter aber verbergen sich oft viel spannendere Themen. Diese erarbeiten wir gemeinsam in einem Workshop heraus. Während es in den USA üblich ist, sich mit einer Unternehmerbiografie zu profilieren, ist dieses Vorgehen in Deutschland noch nicht weit verbreitet. Dabei eignet sich eine Unternehmerbiografie hervorragend zur gezielten Kundenakquise, als Vertriebstool oder zum Aufbau der persönlichen Marke. Denn nach Buchveröffentlichungen folgen in der Regel Radiointerviews, Fernsehauftritte, Podcasts usw. – vorausgesetzt, man setzt die Veröffentlichung gezielt ein. In den USA beispielsweise schaffen es Unternehmerbiografien in die New York Times-Bestsellerliste. Dort hat man verstanden, wie Firmen über eine Buchveröffentlichung ihr Unternehmen vermarkten können.
Wir sind der Wandel: Was braucht es, um ein Buch erfolgreich am Markt zu platzieren?
Schulemann: Die Denke der Verlagsbranche in Deutschland ist sehr statisch. Dabei wird es immer wichtiger, sich fern von Buchmessen und üblichen Handelswegen neue Konzepte einfallen zu lassen. Statt eine Buchlesung zu veranstalten, können Events und Festivals, mit denen eine bestimmte Zielgruppe gezielt angesprochen wird, sinnvoll sein. Und weil der klassische Vertriebsweg in Deutschland aufwendig und teuer ist, haben wir uns unseren Vertriebsweg individuell aufgebaut: Unser Direktvertrieb zum stationären Buchhandel und den Kulturkaufhäusern in den großen deutschen Städten funktioniert sehr gut. Denn die Buchhändler:innen sind offener als mir vorher prophezeit wurde. Auch sie leiden unter den sinkenden Verkaufszahlen und öffnen sich für unsere Art des Vertriebs. Am Ende überzeugt ohnehin der konkrete Absatz.
Online vertreiben wir unsere Bücher über unseren Shop und Amazon. Letzteres ist aus Verbrauchersicht ein wichtiger Kanal, für Verlage und Autor:innen aber finanziell aufgrund der hohen Provisionszahlungen von bis zu 75 Prozent sehr negativ. Deshalb setzen wir auf den Direktvertrieb. Das heißt, wir lagern nicht bei Amazon, sondern verschicken selbst. Das aber unterliegt sehr strengen Auflagen. Verstößt man bereits bei einer Bestellung gegen eine der Auflagen wird man von Amazon abgestraft und ist kurz darauf raus. Auch wenn es am Anfang sehr kompliziert und zeitaufwendig ist, den Vertrieb selbst aufzubauen, am Ende ist es für Verlage und Autor:innen deutlich effizienter.
Eine Verlagsgründung ist einfach, damit rentabel zu sein, ist sehr schwer
Wir sind der Wandel: Ist durch die Digitalisierung die Gründung in der Buchverlagsbranche einfacher geworden?
Schulemann: Eine Verlagsgründung ist einfach, damit rentabel zu sein, ist sehr schwer. Große Buchverlage beispielsweise finanzieren sich über Lizenzgeschäfte: Läuft ein Buch im Ausland gut, erwerben sie eine Lizenz für den deutschen Markt. Und auch sie selbst verkaufen Lizenzen ins Ausland. Außerdem haben sie Lizenzen für Klassiker wie Thomas Mann, Heinrich Heine, Goethe usw. Depütautor:innen nehmen in diesen Verlagen immer nur einen kleinen Raum ein, denn sie aufzubauen ist zeitaufwendig und teuer.
Kleine Verlage hingegen können sich die Lizenzen nicht leisten und arbeitet daher fast überwiegend mit jungen und/oder unbekannten Autor:innen zusammen. Der Buchmarkt ist also nach wie vor unglaublich herausfordernd – nicht nur, weil die Papierpreise aktuell enorm gestiegen sind. Ein Buch zu verlegen ist für kleine Verlage generell sehr teuer – umso wichtiger ist hier ein gutes Konzept.
Wir sind der Wandel: Was ist die größte Herausforderung für Ihren Verlag?
Schulemann: Unsere größte Herausforderung ist, ein Geschäftsmodell zu verkaufen, was es so noch nicht gibt. Mache ich beispielsweise Akquise für Unternehmensbiografien, muss ich zunächst unser Produkt erklären. Dabei fragen die meisten zuerst nach der konkreten Reichweite. Um eine schnelle Wirkung geht es bei der Buchveröffentlichung jedoch nicht. Wir fokussieren uns vielmehr auf das Buch als nachhaltiges Produkt; mit dem ein Experte immer wieder in den Suchmaschinen auftaucht. Doch dafür muss unser Konzept nicht nur von Unternehmer:innen, CEOs und CMOs verstanden werden, sondern auch von PR-Agenturen und -Abteilungen, die die Bücher gezielt in ihre Marketingarbeit integrieren. Dafür muss die Branche offener und innovativer werden. Sie muss bereit sein, ihr statisches Denken abzulegen und Risiken einzugehen.