Ob Haus-, Straßen- oder Brückenbau – der globale Betonkonsum ist gigantisch, der Bauboom ein Klimakiller. Dabei gibt es bereits nachhaltige Lösungen, so der Bauingenieur Dr. Christian Kulas. Politik und Wirtschaft müssen sie nur nutzen.
Grund dafür ist der Zement als Bestandteil des Betons: Bei der Zementproduktion wird mehr CO2 verursacht als durch den gesamten weltweiten Flugverkehr – man schätzt bis zu dreimal mehr. Dennoch ist Stahlbeton nach wie vor weltweit der Baustoff Nummer eins. Eine Lösung für dieses Problem sind Carbonfasern, wie sie auch in der Automobilindustrie verwendet werden.
Dabei sind die Glas- und Carbonbewehrungen nicht nur sehr leicht und flexibel sowie extrem zugfest; sie oxidieren nicht und sind so dem früher oder später korrodierenden Stahl deutlich überlegen. Folgekosten durch Sanierung oder gar Abriss von korrosionsgeschädigten Bauwerken werden so von vornherein vermieden. Deshalb profitieren vor allem öffentliche Bauträger vom Bauen mit Carbonbeton – insbesondere bei stark belasteten Bauwerken wie Brücken aus Stahlbeton oder Spannbeton, deren Instandhaltung die öffentlichen Kassen dauerhaft belasten. Dieser Schutz ist aber auch für bestehende Bauwerke möglich. Nämlich dann, wenn bei Sanierungen auf Carbonbeton gesetzt wird. So wird der Verfall gestoppt und kann der Abbruch sowie Neubau vermieden werden, wie die Sanierung des Mariendoms in Neviges mit carbonbewehrtem Spritzmörtel zeigt. Carbonbeton leistet also einen signifikanten Beitrag zur Nachhaltigkeit in der Bauwirtschaft und darf deshalb nicht länger von der Politik und Wirtschaft ignoriert werden.
Dr. Christian Kulas, Geschäftsführer von solidian, einem Spezialisten und Anbieter von nachhaltigen und dauerhaften Bewehrungen aus Carbon-, Glas- und Basaltfasern, sieht in Carbonbeton die Zukunft des Bauens. Daher setzt sich der Bauingenieur seit knapp 15 Jahren für Carbonbeton als Baustoff ein.
Führung ist in Zeiten des Wandels eine Herausforderung. Wie gute Führung gelingen kann und welche Herausforderungen Führungskräfte bewältigen müssen, darüber spricht Sabine Hockling in der Serie CHEFSACHE.
Wir sind der Wandel: Warum ist das Potential von Carbonbeton so groß?
Dr. Christian Kulas: Carbon korrodiert nicht, daher benötigt man beim Bauen mit Carbonbeton je nach Anwendung nur einen Bruchteil der Betonmenge, die beim Bau mit Stahlbeton notwendig ist. Das spart Zement, dessen Herstellung durch hohe CO2-Emissionen verbunden ist. Zudem wird Sand, Kies und auch Wasser gespart. Aber nicht nur aus Gründen der Nachhaltigkeit ist Carbonbeton der Baustoff der Zukunft. Carbonbeton hat auch enorme wirtschaftliche Einsparpotentiale, da weniger Material und Rohstoffe benötigt werden, Transportkosten bei Fertigteilen aufgrund des niedrigeren Gewichts sinken sowie teure Instandhaltungen infolge Korrosionsgründen nicht notwendig sind.
„Eine Hürde ist das Baurecht“
Die unabhängige Ökobilanz der weltweit ersten reinen Carbonbetonbrücke, der Fußgängerbrücke in Albstadt, belegt: 50 Prozent weniger Beton, bei gleichzeitiger Reduzierung des CO2-Ausstoßes um knapp 30 Prozent. Der Primärenergiebedarf konnte sogar um 50 Prozent reduziert werden. Mit dem Einsatz von nicht-metallischen Bewehrungen ergeben sich beim Bauen Einsparpotentiale von bis zu 50 Prozent, bei Fassadenplatten sogar bis zu 80 Prozent. Und auch in der Logistik sind enorme Einsparungen möglich: Mehr Bauteile können gleichzeitig transportiert und damit deutlich wirtschaftlicher verlagert werden. Und obwohl Carbon mehr kostet als Stahl, ist das Bauen mit Carbon nicht teurer, da dieser Baustoff 7-mal so fest wie Stahl ist und zeitgleich eine wesentlich geringere Dichte hat– man braucht also nicht so viel davon, ungefähr nur 1/20 der Masse.
Wir sind der Wandel: Warum setzt die Bauindustrie bei diesen Vorteilen nicht flächendeckend auf Carbonbeton?
Kulas: Eine Hürde ist das Baurecht. Da es ein neuer und innovativer Baustoff ist, gibt es bisher noch keine Normen, in denen beispielsweise die Bemessung geregelt ist. Deshalb können zurzeit Bauvorhaben nur mit Einzelzulassungen ausgeführt werden, was Planer und Bauherren abschreckt. Trotzdem funktioniert das bei Einzelprojekten gut und wir haben auch jahrelange Erfahrungen damit. Aber es verhindert natürlich den flächendeckenden Einsatz.
Es gibt aber schon Unternehmen, die vom Cabonbeton überzeugt sind und mit uns bereits im Fassaden- und Brückenbau sowie im Parkhausneubau und der Sanierung verschiedene Projekte erfolgreich umgesetzt haben. Und weil die Anwendungsmöglichkeiten auch bezüglich der architektonischen Gestaltung groß sind, arbeiten wir daran, die Hürden Zulassung und Normung sowie Berechnungsmethoden in Angriff zu nehmen. Aktuell wird vom Deutschen Ausschuss für Stahlbeton (DAfStb) – in Zusammenarbeit mit weiteren Institutionen, Universitäten und Industriepartnern – eine Richtlinie erarbeitet, die dieses Jahr noch im Entwurf erscheinen und 2023 scharfgeschaltet werden soll. Das senkt die Hürden erheblich und gibt Ingenieuren das notwendige Tool, um Carbonbetonbauteile zu bemessen.
„Lebenszykluskosten werden nicht in der wirtschaftlichen Berechnung berücksichtigt“
Ein weiterer wichtiger Aspekt, der bislang jedoch kaum betrachtet wird, ist der Lebenszyklus von Bauteilen und Gebäuden. Das heißt, Lebenszykluskosten werden in der Regel nicht in der wirtschaftlichen Berechnung berücksichtigt. Und genau das ist das Problem: Betonbauten sollen gerade für lange Lebenszeiten gemacht sein. Dieser Vorteil aber wird kaum angesetzt. Würde man diese Berechnung für die „Problembauteile“ machen, käme man zu dem Ergebnis, dass Carbonbeton der günstigere Baustoff ist.
Wir sind der Wandel: Wie genau sieht ein Zulassungsprozess aus?
Kulas: Befindet man sich mit einem Produkt außerhalb geltender Normen, benötigt man eine Zulassung. Um die für unser Produkt zu erhalten, haben wir gemeinsam mit Gutachtern und dem Deutschen Institut für Bautechnik (DIBt) – das ist die Stelle in Deutschland, die die Zulassung erteilt – ein umfangreiches Versuchsprogramm gestartet. So wird beispielsweise in Zug- und Temperaturversuchen, in Dauerhaftigkeitsuntersuchungen, in Dauerstandsversuchen und Bauteilversuchen ermittelt, wie sich unser Produkt bei statisch tragenden Bauteilen verhält.
Wir sind der Wandel: Klingt langwierig und kompliziert.
Kulas: Wie lange der Zulassungsprozess dauert, hängt unter anderem auch von der Vorbereitung des Unternehmens ab. Unsere ersten Zulassungen haben zwischen drei und fünf Jahren gedauert. Wir hoffen, dass wir in Zukunft schneller sind. Wenn unsere aktuelle Zulassung am Ende zwei, drei Jahren gedauert hat, sind wir sehr zufrieden. Die Versuche dauern eben auch eineinhalb bis zwei Jahre, das können wir an dieser Stelle nicht beschleunigen. Natürlich könnte der gesamte Prozess etwas schneller gehen, hier merken wir wie überall auch den Fachkräftemangel.
„Statt auf Zwang zu setzen, könnte die Politik Anreize schaffen“
Wir sind der Wandel: Wenn Carbonbeton derart nachhaltig ist, sollte dann nicht die Politik die Bauindustrie dazu zwingen, mit Carbonbeton zu bauen?
Kulas: Nachhaltigkeit und CO2-reduziertes Bauen zu fördern ist aus meiner Sicht eine der wichtigsten Aufgaben, die die Politik aktuell hat – sonst wird es schwierig, die Klimaziele zu erreichen. Statt auf Zwang zu setzen, könnte die Politik Anreize schaffen und das Bauen mit nachhaltigen Baumaterialien wie beispielsweise Carbonbeton fördern. So, wie sie das bei der Energieeinsparverordnung getan hat. Es gibt allerdings bisher keine Verordnung für den ressourcenschonenden Bau eines Gebäudes. Deshalb wäre eine Ressourceneinsparverordnung ein wichtiger erster Schritt. Dazu gehört auch, Vergabe- und Ausschreibungsverfahren entsprechend anzupassen. Das eben nicht der billigste Anbieter gewinnt, sondern der mit den höchsten CO2-Einsparungen oder mit dem niedrigsten Ressourcenverbrauch.