Digitale Ökonomie: Bedeutung für Manager

Mann im Anzug auf Straße

Eine ING-DiBa-Studie aus dem Jahr 2015 schätzt, dass durch die Digitalisierung rund 11 Prozent der Arbeitsplätze von Führungskräften gefährdet sind. Das ist aber nur die halbe Wahrheit.

Ein Gastbeitrag von Dr. Martina Nieswandt

Es werden zwar bestimmte Tätigkeiten wegfallen, doch wird es auch mehr Managementfunktionen brauchen, um die neuen Herausforderungen zu bewältigen, die durch die digitale Ökonomie angestoßen werden. Komplexe Systeme – und das sind Unternehmen in einer digitalen Welt nun einmal – brauchen mehr Verantwortliche als klassisch-hierarchische Systeme. Vorteile hatte die Anweisungshierarchie in linearen und komplizierten, aber wenig komplexen Organisationen, wo schnell von oben nach unten und ohne Rücksicht auf Verluste entschieden werden konnte. Komplexe Organisationen hingegen müssen sich nach innen und außen vernetzen. Und dafür braucht es mehr und nicht weniger Verantwortungsträger.

Der Nutzen von Organigrammen für die Verantwortungsübernahme von vielen wird überschätzt. In Verantwortungshierarchien ist es gleich, ob ein Manager Mitarbeiter führt oder nicht – und wenn ja, wie viele. Dort ist es nur noch wichtig, dass er möglichst viele richtige Entscheidungen trifft und echte Innovationen anstößt. Denn Management findet auf vielen Ebenen und Nahtstellen statt. Das heißt, Manager sind dann Experten, Führungskräfte oder beides gleichzeitig. Auch ist eine Rotation in andere Funktionen alle drei bis fünf Jahre vorstellbar. Der Vorteil für die beteiligten Manager läge darin, dass sie vieles – Projekte, Teams, Inhalte und Spezialtätigkeiten – abwechselnd verantworten können. Damit bauen sie ein erhebliches Know-how auf und investieren so auch in ihre persönliche Zukunft. Sie arbeiten sich immer wieder in neue Fragestellungen ein. Das bedeutet auch, dass Manager sich neuen Formen der Managemententwicklung zuwenden, die zu verantwortenden Tätigkeiten als Lernchancen sehen, sich durch eigengesteuerte Weiterbildung qualifizieren und sich in der Vernetzung mit anderen Bereichen entwickeln werden.

Neue Formen der Management- und Personalentwicklung

In der digitalen Transformation verändern sich auch die bislang bestehenden Managementbilder: Der Manager denkt und arbeitet wie ein Unternehmer, vernetzt sich im Unternehmen, mit Kunden und Lieferanten, treibt Themen, Teams und Innovationen voran, hat die erfolgreiche, langfristige Entwicklung des Unternehmens zum Ziel und delegiert Verantwortung radikal an Einzelne. Das ist mehr, als den Weg von Peter Drucker zu Warren Bennis zu gehen. Hatte Management bisher die Aufgabe, mit knappen Ressourcen eine maximale Wertschöpfung in einem stabilen Umfeld zu erzielen, heißt es nun, dies schneller in einem komplexen, sich rasch wandelnden Umfeld zu tun.

Der laterale Manager ist ein Entwickler: Er entwickelt sich, die Menschen, mit denen er zusammenarbeitet, und die Organisation. Das heißt auch, dass die volle Personal- und Kostenverantwortung von ganz oben auf den Manager und sein Team übergeht. Im Team sind Kosten und Erträge transparent und werden von Einzelnen im Team verantwortet. Idealerweise besteht das Team aus Persönlichkeiten, die diesem Managementbild ebenfalls entsprechen. Der Manager fördert dieses Entwicklungsbild. Letztlich ist es sein Ziel, sich überflüssig zu machen und in der Organisation nach einer erfolgreich abgeschlossenen Tätigkeit andere Aufgaben zu übernehmen. Das Team restrukturiert sich permanent. Alles ist im Fluss. Aufgaben werden als Tätigkeiten auf Zeit angesehen. Im Vordergrund steht dabei immer, den größtmöglichen langfristigen Nutzen für das Unternehmen zu stiften.

Laterales Management fordert einen völlig anderen Management- und Führungsstil

Dieser Anspruch ist immer noch weit entfernt von den heutigen tatsächlichen Erwartungen an Manager. Ich- und Bereichsoptimierung und letztendlich das Klammern an Entscheidungsmacht stehen immer noch im Vordergrund. Häufig sehen sich Manager in der Funktion, für die Arbeitsplätze in ihrem Bereich oder in ihrer Abteilung zu kämpfen, anstatt mit den beteiligten Menschen den wünschenswerten Abbau von Arbeitsplätzen infolge der Digitalisierung zu thematisieren. Bleibt das so, wird es für Manager gefährlich. Wir erinnern uns an die 1990er-Jahre, als das Mittlere Management als Lehmschicht oder „Lähmschicht“ bezeichnet und ausgedünnt wurde. Damit war gemeint, dass die Mittelmanager zwar Entscheidungen von oben nach unten transportieren, jedoch keine Ideen von unten nach oben durchlassen würden. Laterales Management fordert nun einen völlig anderen Management- und Führungsstil. In der digitalen Transformation sollen möglichst viele Menschen im Unternehmen Innovatoren werden und auch die Wertschöpfung der eigenen Tätigkeit infrage stellen. Das geht nur mit viel Freiheit und Entscheidungskompetenz und besonders mit voller Transparenz über die Wirtschaftlichkeit der Arbeitsplätze. Diese Umstellung im Verhalten werden nicht alle Manager schaffen. Ein konkretes Beispiel: Bei dm verließen nach einer solchen Neujustierung mehrere Vertriebsmanager das Unternehmen, so berichtete es Götz Werner, Gründer des inzwischen größten Drogerie-Konzerns in Europa. Loszulassen, mit Menschen auf Augenhöhe mit allen Konsequenzen umzugehen, ist eine Zumutung!

Ein wichtiger Teil der Managementarbeit wird es zukünftig sein, mit den Teams den Stand der Digitalisierung und damit die Zukunftsfähigkeit der Jobs zu thematisieren. Der Abbau alter Strukturen und der Aufbau neuer Tätigkeitsfelder werden sukzessive, parallel und unvorhergesehen erfolgen. „Die bestehenden trennscharfen, siloartigen Abteilungs- und Bereichsstrukturen werden unter diesen neuen Anforderungen ächzen“, wie es der Unternehmer und Strategieberater Hannes Ley formulierte. Die Manager werden im positiven Sinne zu Krisenmanagern. Umstrukturierung wird zum Normalfall. Für Unternehmen gilt es, die Ressourcen für die Weiterentwicklung ihrer Mitarbeiter bereitzustellen. Die RAG AG mit ihrer Form der Restrukturierung in den vergangenen 25 Jahren steht für diese Entwicklung Pate. Jeder Manager dort hatte die Aufgabe, sich persönlich um die einzelnen Menschen in seinem Verantwortungsbereich zu kümmern und mit ihnen neue Perspektiven nach dem Abbau von Aufgaben zu entwickeln.

Jobgarantien sind für Wissensarbeiter kein Lockmittel

Das bedeutet für das Management, dass es sowohl an der Zielerreichung als auch an der Bewertung des lateralen Fortschritts durch seine Mitarbeiter gemessen wird. Beides wird gleichgewichtig in seine Leistungsbeurteilung eingehen. Eine solche 180°-Bewertung wird in lateralen Unternehmen bis zum Topmanagement durchgeführt und ist für das Laterale Management eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg. Wird dieses Verfahren in Unternehmen auf breiter Basis durchgeführt, dann dürften die Studien von Gallup und Co. in Zukunft andere Ergebnisse zeigen.

Auch für die Organisation ist es eine enorme Aufgabe, Laterales Management zu implementieren. Klassische Formen der Personalarbeit werden in beratende Funktionen transformiert. Es wird wie bei den dm-Märkten oder Buurtzorg nichts verordnet – es werden Angebote gemacht. Souverän sind die handelnden Manager mit ihren Teams.

Das hat Konsequenzen für die Personalauswahl in den Unternehmen und für die persönlichen Karrierepfade der Menschen. Eine Jobgarantie ist für Wissensarbeiter kein Lockmittel mehr. Für die Generation Y und noch stärker für ihre Nachfolger sind persönliche Weiterentwicklung, interessante Kollegen, gemeinsamer Erfolg und spannende Arbeitsplätze wichtiger als Einkommen und Sicherheit. Laterales Management bietet ihnen die passenden Strukturen.

Rentner kommen als „Space Cowboys“ zurück

Auch die Trennung von Mitarbeitern ist dann kein Tabu mehr. Menschen können Organisationen verlassen und nach einiger Zeit wieder zurückkehren. Das zeigt sich erfreulicherweise heute schon am Umgang mit älteren Wissensarbeitern. Firmen wie Bosch, Lafley, Steinwascher und Daimler holen erfahrene Rentner zurück. Die Mitglieder dieses Senior-Experten-Pools werden „Space Cowboys“ genannt. Personalarbeit wird so flexibel werden, dass Menschen in die Organisation eintreten, austreten und wiederkommen können. Voll- und Teilzeitbeschäftigung und Arbeitszeiten werden fließend wechseln.

Die Formate bei der Personalauswahl, -entwicklung und -trennung werden die wichtigsten Unterscheidungsmerkmale zwischen Lateralem und klassischem Management sein. In flexiblen Arbeitsverträgen werden neben dem Gehalt die persönliche Weiterentwicklung, Exit-Strategien und Freiheitsgrade zwischen Management und Teammitgliedern verhandelt werden. Dadurch werden die Verhandlungen mit Arbeitgebern komplexer. Auch wird selbstständige Projektarbeit gegenüber der Festanstellung noch weiter an Bedeutung gewinnen.

Das deutsche Arbeitsrecht darf nicht zum Hemmschuh werden

Mitarbeiter wollen schon heute Projekterfolg, interessante Tätigkeiten sowie Lern- und Qualifizierungserfolge für die nächste Tätigkeit. Sie haben ein großes Interesse daran, an spannenden Themen zu arbeiten, um ihren Marktwert für den nächsten Job zu erhöhen. Manager müssen diesen Arbeitnehmern Perspektiven und Weiterbildung on, off und near the job anbieten können.

In der Telekommunikationsindustrie ist es in den vergangenen Jahren gelungen, viele Arbeitnehmer für neue Jobs zu qualifizieren. Dieses Modell wird Schule machen. Schwierig wäre es in diesem Zusammenhang nur, wenn Manager Arbeitnehmern vorgaukeln, dass sie ohne sich weiterzuentwickeln in einer digitalen Ökonomie wirtschaftlich bestehen können. Und es stellt sich bloß die Frage, ob das deutsche Arbeitsrecht auf die Veränderungen in der digitalen Wirtschaft reagiert und nicht zu einem großen Hemmschuh wird.

Die Ratgeber-Redaktion

Unter der Autor:innen-Bezeichnung REDAKTION veröffentlichten DIE RATGEBER von 2010 bis 2020 Gastbeiträge sowie Agenturmeldungen. Im August 2020 gingen die Inhalte von DIE RATGEBER auf die Webseite WIR SIND DER WANDEL über.