Digitaler Wandel: Rüstzeug für einen erfolgreichen Weg

Blick auf Hochhäuser

Jede Branche und jedes Unternehmen werden von der Digitalisierung beeinflusst. Dabei den individuellen Veränderungsbedarf zu erkennen und entsprechend die passenden Strategien zu entwickeln ist die Königsdisziplin.

Ein Gastbeitrag von Thomas Breyer-Mayländer

Die Nachrichten sind voll von Appellen zur Digitalisierung. Verbände, Kammern, Hochschulen und Fachjournalisten haben die „digitale Transformation“ zu einem ihrer Lieblingsthemen gemacht – und es gibt in der Tat viele bemerkenswerte Erfolgsgeschichten. Dennoch fragen sich viele, gerade auch Vertreter kleinerer und mittlerer Unternehmen, was die Digitalisierung kurz-, mittel- und langfristig für sie bedeutet und mit welchen Maßnahmen sie das Thema in Angriff nehmen sollen.

Es gilt, in regelmäßigen Abständen die Auswirkungen digitaler Geschäftsmodelle und digitaler Technologien auf das eigene Unternehmen und die eigenen Märkte zu analysieren. Geht es dabei um disruptive Veränderungen, bei denen anfangs schwächere digitale Lösungen am Ende den Markt komplett verändern? Beispielhaft dafür ist der Markt der digitalen Fotografie, bei dem eine zu Beginn nur für Nischen gedachte Technologie den Markt dominierte – und der sich auch von der Anwendung her komplett verändert hat. Und obwohl noch nie so viele Fotos weltweit gemacht und verschickt wurden, haben nicht die klassischen Kamerahersteller, sondern mit den Smartphone- und Tabletproduzenten neue Player den Großteil dieses Marktes übernommen. Bei denen aber wurde die einstmals zentrale Funktion des Fotografierens zu einem von vielen Features. Tritt eine solche Situation ein, erfordert das meist eine sehr klare Kurskorrektur. Denn kleine Veränderungen werden hier wenig bewirken, oder um es mit den Worten des Theologen Dietrich Bonhoeffer auszudrücken: Wer im falschen Zug sitzt, dem hilft es nicht im Gang in die richtige Richtung zu gehen.

Eine Analyse muss in hohem Maße individuell erfolgen

Alternativ zu diesen revolutionären Veränderungen gibt es viele Märkte mit einem zeitlich anders gelagerten Verlauf. Bei denen sich die Digitalisierung in einzelnen Produkten und Prozessen widerspiegelt, und die sich schrittweise verändern. Maschinenbauunternehmen beispielsweise werfen üblicherweise nicht ihren kompletten Maschinen- und Anlagenbestand in die Tonne, um den Anforderungen der vernetzten Produktion als Teilfacette von „Industrie 4.0“ zu genügen, sondern stehen vielmehr vor der Aufgabe, einen bestehenden Bestand aufzurüsten.

Daher muss eine Analyse in hohem Maße individuell erfolgen. Meist wissen die Beteiligten im Unternehmen genau, wo die wunden Punkte liegen, man scheut sich jedoch, die Bereiche, in denen Wettbewerber das eigene Geschäft attackieren können, kompakt darzustellen. Nach dem Ansatz „Kill the company“ lassen sich jedoch diese Punkte im Rahmen eines internen Workshops sehr gut herausarbeiten. Damit treten die Bereiche zu Tage, in denen ich die Innovationen selbst vorantreiben kann, bevor es ein anderer übernimmt.

Es lohnt sich dabei zum Beispiel, das Geschäftsmodell aller bestehenden und geplanten Produktgruppen etwas genauer unter die Lupe zu nehmen, wie es in dem Canvas-Modell deutlich wird, das sich aus den Arbeiten von Osterwalder/Pigneur (2011) und Maurya (2012) ableiten lässt.


Lean Canvas als Business-Modell-Beschreibung.
Lean Canvas als Business-Modell-Beschreibung (Quelle: Breyer-Mayländer, Management 4.0).

Dabei stellen sich für jedes Produkt, jeden Bereich einige zentrale Fragen, die nicht unbedingt neu oder originell sind, für deren Beantwortung man sich im Arbeitsalltag jedoch häufig zu wenig Zeit nimmt.

Kernfragen zur digitalen Analyse:

  • Welche Zielgruppe habe ich mit dem Produkt/dem Geschäftsmodell im Visier?
  • Welche Teilzielgruppen existieren hier und in welcher zeitlichen Folge wollen wir diese adressieren?
  • Gibt es eine aktive Zielgruppe von „early adoptern“, die ein Minimal Viable Product (MVP), ein minimal funktionsfähiges Produkt (MFP) testen können?
  • Was sind die drei größten Probleme meiner Kunden?
  • Sind diese Probleme den Kunden auch bewusst?
  • Welche bisherigen Lösungen haben die Kunden für diese Probleme entwickelt?
  • Welche Nachteile haben diese bisherigen Lösungen?
  • Wie gravierend sind diese Nachteile für unterschiedliche Teilsegmente meiner Zielgruppe?
  • Wie können die bisherigen Lösungen von den Kunden oder deren Partnern weiterentwickelt werden?
  • Wie wollen wir die jeweiligen Probleme unserer Kunden lösen?
  • Welche drei Haupt-Features haben die Produkte?
  • Wie lässt sich die Funktionsfähigkeit meiner Lösungen bewerten (Worauf muss man in der Phase des Experiments mithilfe eines MVP achten)?
  • Mit welchen Kennzahlen (KPI: Key Performance Indicator) kann man den Erfolg messen?
  • Welches einzigartige Wertversprechen bieten meine Lösungen?
  • Warum ist die neue Lösung besser als die bisherigen und warum verdient sie besondere Beachtung?
  • Wie kann man das Konzept im Rahmen einer kurz gefassten Analogie beschreiben (z.B. ein eBay für den Stahlhandel)?
  • Welchen unfairen Vorteil besitzen wir als künftiger Anbieter im Markt?
  • Was hindert andere daran innerhalb kurzer Zeit das Produkt zu kopieren?
  • Über welche Kanäle erreiche ich meine Kunden?
  • Welche Kosten entstehen?
  • Welche Fixkosten entstehen?
  • Welche variablen Kosten entstehen und von welcher Größe sind die Kosten abhängig?
  • Welche Erlösquellen sind realistisch?
  • Wie sieht der ideale Kundenlebenszyklus (Customer Lifetime Value) aus?
  • Welche Margen sind im Wettbewerb zu anderen Lösungen realistisch?
  • Wie kann das Geschäftsmodell skaliert werden?
  • Welche Voraussetzungen muss ich in meinem Unternehmen erfüllen und welche Vorbereitungen muss ich treffen, um das Modell skalieren zu können?

Digitale Organisation und digitales Management

Für alle, die nun Handlungsbedarf erkennen, ist es entscheidend, die richtige Organisationsform zu wählen. Dass es sinnvoll sein kann, neue Projekte, Produkte und Märkte zunächst in eigenen Teams zu betreiben, ist eine Erkenntnis, die nicht neu ist, sondern die man für den digitalen Wandel nur konsequent anwenden muss. Parallel dazu geht es auch um die Veränderung der Arbeitsprozesse und Methoden. Unter dem Stichwort „agile Methoden“ gibt es inzwischen ein ganzes Set an Arbeitsweisen, mit denen man schneller ans Ziel gelangt – und die Dynamik der Teams, die den Erfolg wollen, auch zielgerichtet nutzen kann. Viele Unternehmen nutzen dabei die Chance, auch die Führungskultur zu verändern und sich somit als Arbeitgeber neu zu positionieren. Denn wenn es darum geht, jüngere Kollegen zu integrieren und zu motivieren, dann muss man sich darüber im Klaren sein, dass für viele ziel- und leistungsorientierten Angehörigen der sogenannten „Generation Y“ (Jahrgänge 1981-1995) die erfolgreiche Arbeit als solches einen hohen Stellenwert einnimmt. Die Loyalität gehört dem Projekt und dem Team und nicht einer übergeordneten Bindung an das abstrakte Unternehmen.

Erfolgreiche Unternehmen schaffen dabei die Balance zwischen der Notwendigkeit, die digitalen Geschäftsfelder zu forcieren und damit die notwendige Dynamik und Wandlungsfähigkeit zu erzeugen, und gleichzeitig die bisherigen Kompetenzen und Erfahrungen des Unternehmens und der Mitarbeitenden zu nutzen und weiterzuentwickeln.

 

Management 4.0: Den digitalen Wandel erfolgreich meistern.

 

Management 4.0: Den digitalen Wandel erfolgreich meistern
Das Kursbuch für Führungskräfte
von Thomas Breyer-Mayländer
Hanser Verlag (1. Auflage, Oktober 2016)
36 Euro (D)
ISBN 978-3-446-45038-7

Die Ratgeber-Redaktion

Unter der Autor:innen-Bezeichnung REDAKTION veröffentlichten DIE RATGEBER von 2010 bis 2020 Gastbeiträge sowie Agenturmeldungen. Im August 2020 gingen die Inhalte von DIE RATGEBER auf die Webseite WIR SIND DER WANDEL über.