Wenn KI uns bremst, obwohl sie uns beschleunigt

Nahaufnahme eines Computerbildschirms mit violettem Hintergrund

Generative KI steigert unsere Leistung – und raubt uns die Motivation. Eine Studie aus China zeigt, wie wir gegensteuern können.

Das Versprechen klang verlockend: Generative KI soll uns entlasten, kreativer und produktiver machen. Sie soll den Menschen beflügeln, nicht ersetzen. Doch die Studie „Human-generative AI collaboration enhances task performance but untermindes human’s intrinsic motivation“ aus China warnt: Was kurzfristig glänzt, kann langfristig schaden. Denn die Zusammenarbeit mit ChatGPT & Co. steigert zwar die Leistung, nimmt uns aber, was uns antreibt – die innere Motivation.

Wenn der Helfer die Freude nimmt

Irrtümer und Mythen rund ums ArbeitsrechtIn vier Online-Experimenten mit über 3.500 Teilnehmenden untersuchten Forschende der Zhejiang University, wie generative KI Leistung und Psyche beeinflusst. Die Aufgaben waren typisch für Wissensarbeit: Social-Media-Posts schreiben, Leistungsbeurteilungen verfassen, kreative Ideen entwickeln.

Das Ergebnis war eindeutig – und zwiespältig: Mit KI erzielten die Teilnehmenden bessere Ergebnisse. Texte wurden länger, analytischer, empathischer. Ideen wirkten frischer, E-Mails klangen wärmer. In Zahlen: Posts mit ChatGPT waren signifikant ansprechender, Performance-Reports präziser und umfangreicher.

Doch nach der Zusammenarbeit mit der KI kippte das Bild. Allein arbeitend sank die Motivation deutlich. Die Teilnehmenden fühlten sich gelangweilt, die Qualität ihrer Arbeit stagnierte oder verschlechterte sich. Der Wendepunkt lag dort, wo die KI verschwand.

Mehr Kontrolle, weniger Sinn

Die Forschenden entdeckten ein Paradoxon: Nach der Arbeit mit ChatGPT stieg das Gefühl der Kontrolle leicht – ein „Zurück-am-Steuer“-Effekt. Gleichzeitig brach die Freude am Tun ein.

In Zahlen: Die intrinsische Motivation fiel beim Alleinarbeiten von 5,1 auf 4,4 Punkte (Skale 1-7). Die Langeweile stieg von 2,5 auf 3,2 Punkte. Wer zuvor mit KI gearbeitet hatte, empfand das Alleinarbeiten als monoton und leer.

Dieses Muster zeigte sich in allen vier Studien – ob beim Schreiben, Planen oder Ideensammeln. Die kurzfristige Leistungssteigerung durch KI ging stets mit einem langfristigen Motivationsverlust einher.

Die Erklärung liefert die Selbstbestimmungstheorie der Psychologie: Menschen brauchen Autonomie, Kompetenz und Sinn, um motiviert zu bleiben. Übernimmt die KI die kreativen oder anspruchsvollen Teile der Arbeit, fehlt uns die Chance, diese Bedürfnisse zu erleben. Die Arbeit wird effizienter – aber seelenloser.

Der Mechanismus: Wenn Effizienz Kreativität frisst

Die Daten zeigen, dass KI vor allem bei Struktur und Sprache punktet. In einem Experiment sollten Teilnehmende mit ChatGPT eine Mitarbeiterbewertung schreiben. Die KI-Texte waren länger, analytischer und sozial kompetenter. 68 Prozent analytischer Inhalt gegenüber 63 Prozent bei rein menschlichen Texten, dazu eine wärmere Tonalität.

Doch beim anschließenden Brainstorming ohne KI verpuffte der Effekt. Die Zahl und Qualität der Ideen unterschieden sich kaum von der Kontrollgruppe. Warum? Weil die KI die kognitive Last trägt – und damit den Reiz des Denkens. Die Teilnehmenden fühlten sich allein weniger gefordert, ihre Neugier sank, ihre Aktivierung nahm ab. Das zeigt: GenAI verändert nicht nur, wie wir arbeiten, sondern auch, wie wir fühlen.


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Was tun? Die Studie liefert keine Patentlösung, aber klare Hinweise. Entscheidend ist, wie wir KI einsetzen. Sie sollte Sparringspartner sein, kein Ersatz fürs Denken.

Das bedeutet:

– Autonomie bewahren: Die KI darf Vorschläge machen, aber keine Entscheidungen diktieren.
– Reflexion fördern: Teams sollten bewusst unterscheiden, welche Ideen von der KI und welche vom Menschen stammen – um das Gefühl von Eigenverantwortung zu stärken.
– Lernen statt delegieren: Wer KI nutzt, um besser zu denken, statt das Denken abzugeben, bleibt motiviert.

In einem Unternehmen zum Beispiel schreiben Mitarbeitende ihre E-Mails selbst und lassen ChatGPT nur als „Sprachlektor“ prüfen. Ergebnis: Die Texte werden besser, das Gefühl der Selbstwirksamkeit bleibt.

Arbeit zwischen Leistung und Bedeutung

Die Studie von Wu et al. ist mehr als ein Laborbefund. Sie spiegelt die Arbeitswelt von morgen. In ihr wechseln Menschen ständig zwischen menschlicher Tiefe und künstlicher Effizienz. Dieser Wandel ist unvermeidlich – doch er braucht Bewusstsein. Sonst nimmt uns KI, was uns menschlich macht: die Freude, selbst etwas zu erschaffen.

Die Forschenden formulieren es nüchtern: „Human-GenAI collaboration enhances immediate task performance but can undermine long-term psychological experiences of human workers.“ Für die Praxis heißt das: Unternehmen müssen Produktivität neu denken – als Balance zwischen Tempos und Tiefe. Die Frage ist nicht, ob KI uns hilft, sondern wie viel sie uns abnehmen darf, ohne uns innerlich zu entleeren.

Generative KI verstärkt. Sie hebt die Qualität, senkt die Mühe – und verführt dazu, ihr zu viel zu überlassen. Kurzfristig gewinnen wir Effizienz. Langfristig verlieren wir Sinn. Die Zukunft der Arbeit entscheidet sich nicht an der Rechenleistung der Maschinen, sondern an unserer Fähigkeit, Motivation und Menschlichkeit in einer digital verstärkten Welt zu bewahren.

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Sabine Hockling

Die Chefredakteurin Sabine Hockling hat WIR SIND DER WANDEL ins Leben gerufen. Die Wirtschaftsjournalistin und SPIEGEL-Bestsellerautorin beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit den Veränderungen unserer Arbeitswelt. Als Autorin, Herausgeberin und Ghostwriterin veröffentlicht sie regelmäßig Sachbücher – seit 2023 in dem von ihr gegründeten DIE RATGEBER VERLAG.