Wenn Führung geschlechtsneutral wird – und gewinnt

Schattenspiele mit Menschen vor Skylines

Eine neue Studie zeigt: Gleichstellung in der Führung treibt das Wachstum an. Unternehmen mit Frauen an der Spitze erzielen nachweislich mehr Erfolg – vorausgesetzt, sie brechen mit veralteten Denkmustern.

In den Chefetagen der Welt vollzieht sich ein Wandel – begleitet von Widerstand. Künstliche Intelligenz, neue Arbeitsmodelle und der Druck, Sinn und Rendite zu vereinen, zwingen Unternehmen zum Umdenken. Doch während Geschäftsmodelle sich erneuern, halten sich alte Stereotype hartnäckig.

Die Capgemini-Studie „Gender and Leadership: Navigating Bias, Opportunity, and Change“, basierend auf einer Befragung von 2.750 Führungskräften aus elf Ländern, zeigt: Mehr als drei Viertel der Führungskräfte erkennen an, dass Frauen genauso effektiv führen wie Männer. Dennoch gelten zentrale Zukunftskompetenzen wie Innovation, Datenanalyse oder Agilität vielen Männern weiterhin als „männlich“.

Führung neu gedacht

Irrtümer und Mythen rund ums ArbeitsrechtDieser Wahrnehmungsgraben birgt Risiken: Frauen erleben sich zunehmend als selbstbewusst und kompetent – 58 Prozent nennen Selbstvertrauen als ihre Kernstärke, fast gleichauf mit 59 Prozent der Männer. Dennoch stoßen sie auf Hindernisse. 53 Prozent der Frauen berichten von Benachteiligungen bei der Bezahlung, 40 Prozent bei internationalen Chancen. Männer hingegen profitieren oft von ihrem Geschlecht – bei Gehalt, Sichtbarkeit und Aufstieg. Die Gleichberechtigung scheint auf dem Papier erreicht, in der Praxis jedoch nicht.

Dabei zeigt die Studie auch: Die Wirtschaft kann es sich nicht leisten, auf weibliche Führung zu verzichten. Unternehmen mit Frauen in Führungspositionen sind nachweislich erfolgreicher. Die Studie nennt beeindruckende Zahlen:

– Börsennotierte Firmen mit weiblichen CFOs steigern ihren Aktienkurs im Schnitt um sechs Prozent binnen sechs Monaten.

– Unternehmen mit starker Frauenvertretung im Management erzielen bis zu 50 Prozent höhere Gewinne.

– Unilever verzeichnete nach gezielter Förderung weiblicher Talente 40 Prozent mehr Frauen in Führungsrollen – und 30 Prozent mehr Umsatz.

Fähigkeiten, die den Wandel treiben, werden unterschätzt

Diese Erfolge sind kein Zufall. Sie zeigen, dass Vielfalt in der Führung kein „Nice-to-have“, sondern ein strategischer Hebel ist. Leadership, so bringt es Paul Polman, der ehemalige CEO von Unilever, auf den Punkt, bedeutet heute: adaptieren, Brücken bauen, kooperieren. Führung wird neu definiert – weniger hierarchisch, mehr menschlich. Ein Drittel der befragten Organisationen setzt bereits auf transformative Führung, die auf Empathie, Vision und Lernfähigkeit basiert. Genau diese Qualitäten – emotionale Intelligenz, Anpassungsfähigkeit, Teamführung – werden oft mit weiblichen Stärken assoziiert.

Paradoxerweise gelten diese Stärken in vielen Unternehmen noch immer als „weich“. Die Capgemini-Forschenden sprechen von einer „Verzerrung der Wahrnehmung“: Fähigkeiten, die den Wandel ermöglichen, werden unterschätzt, solange sie mit Weiblichkeit verbunden werden.


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Systeme verändern – nicht Frauen

Capgemini zeigt, wie Unternehmen inklusiver führen können. Acht konkrete Hebel weisen den Weg:

  1. Bias erkennen und stoppen:
    Unternehmen wie Colgate-Palmolive schulen gezielt ihre Belegschaft – besonders Männer –, um unbewusste Vorurteile abzubauen.
  2. Technische Kompetenz für alle:
    Nur 46 Prozent der Führungskräfte nennen KI und Automatisierung als ihre Stärke. Technologische Bildung muss Teil jeder Leadership-Entwicklung werden.
  3. Transparente Karrierepfade:
    Nur die Hälfte der Befragten glaubt, dass Beförderungen geschlechtergerecht verlaufen. Objektive Kriterien und klare Prozesse sind unerlässlich.
  4. Mentoring demokratisieren:
    49 Prozent der Frauen sehen fehlende Mentor:innen und Sponsor:innen als Karrierekiller. Algorithmen können Mentoring-Paare fair zusammenbringen.
  5. Flexibilität für alle:
    Frauen profitieren oft von flexiblen Arbeitsmodellen, doch 44 Prozent der Männer fühlen sich hier benachteiligt. Flexibilität muss ein Führungsinstrument sein, kein Frauenbonus.
  6. Vielfalt als Führungsprinzip:
    37 Prozent der Führungskräfte sehen mangelnde Akzeptanz für unterschiedliche Führungsstile als Aufstiegshemmnis. Vielfalt erweitert das Spektrum an Erfolg.
  7. Übertragbare Fähigkeiten anerkennen:
    Kompetenzen aus Sport, Ehrenamt oder Pflege sollten in die Bewertung von Leadership einfließen.
  8. Inklusion über den Arbeitsplatz hinaus:
    Capgemini investiert in Programme zur Förderung von Frauen in Technik und Bildung – und schafft damit Vorbilder.

Diese Maßnahmen sind kein moralisches, sondern ein ökonomisches Programm. Denn Gleichstellung, das zeigen die Zahlen, ist Wachstumspolitik.

Von der Ausnahme zur neuen Normalität

Noch immer erwägen 35 Prozent der Frauen, ihren Arbeitgeber zu verlassen – aus Frustration über unfaire Strukturen. Doch Organisationen, die jetzt handeln, gewinnen doppelt: Sie sichern Talente und stärken ihre Wettbewerbsfähigkeit. In der Zukunft, so die Studie, zählt nicht mehr das Geschlecht des Leaders, sondern dessen Fähigkeiten, Komplexität zu gestalten – mit technischer Kompetenz, Menschlichkeit und Mut. Oder, wie es Capgemini-Managerin Sarika Naik formuliert: Technologie kann der große Gleichmacher sein – wenn wir sie nutzen, um Zugang, Lernen und Chancen für alle zu öffnen. Der Wandel hat begonnen. Doch er braucht Führung, die ihn verkörpert – nicht nur predigt. Führung, die erkennt: Diversität ist kein Risiko. Sie ist die Quelle unserer Erneuerung.

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Sabine Hockling

Die Chefredakteurin Sabine Hockling hat WIR SIND DER WANDEL ins Leben gerufen. Die Wirtschaftsjournalistin und SPIEGEL-Bestsellerautorin beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit den Veränderungen unserer Arbeitswelt. Als Autorin, Herausgeberin und Ghostwriterin veröffentlicht sie regelmäßig Sachbücher – seit 2023 in dem von ihr gegründeten DIE RATGEBER VERLAG.