“Du hast Dich mit Zivilcourage dem Sturm entgegengestellt”, schreibt die Gewerkschafterin und heutige Vizepräsidentin des Sozialverbandes Deutschland (SoVD) Ursula Engelen-Kefer in ihrem letzten Brief an den verstorbenen Politiker Norbert Blüm.
Ein Abschiedsbrief von Ursula Engelen-Kefer
Wie kaum ein anderer prägte der verstorbene Norbert Blüm (CDU) die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik in Deutschland. Mit der Gewerkschafterin, Sozialpolitikerin und frühere Vizepräsidentin der Bundesanstalt für Arbeit (BA) Ursula Engelen-Kefer tauschte er sich in Briefen aus. Sein letzter Brief erreicht die heutige Vizepräsidentin des Sozialverbandes Deutschland (SoVD) am 16. April 2020 – sie antwortet ihm posthum auf “die Chefin”:
Lieber Norbert,
Du bist nicht mehr unter uns, aber für mich weiterhin präsent wie eh und je!
Dein letztes Schreiben vom 16.April wollte ich gerade beantworten, als mich die Nachricht von Deinem Tod wie ein Schock getroffen hat. Habe dies zwei Tage und Nächte mit mir herum getragen.
Ich habe mich zu einer Antwort durchgerungen. Zuallererst muss ich als ehemalige Stellvertretende Vorsitzende des DGB und jetzige Vizepräsidentin des Sozialverbandes Deutschland (SoVD) meine bleibende Hochachtung und Wertschätzung dafür aussprechen, dass Du ein Leben lang als Sozialpolitiker und Bundestagsabgeordneter der CDU, als langjähriger Bundesminister für Arbeit und Soziales in der „Ära Kohl“ und auch in den vielen Jahren danach die solidarische Sozialversicherung hoch gehalten hast. Dabei hast Du Dich auch dem eisigen neoliberalen Wind in der eigenen Partei entgegen stellen müssen. In Dir hatten wir in unserem Einsatz für die gesetzliche Sozialversicherung immer eine verläßliche und wirksame Stütze.
Hartnäckiger Einsatz für die soziale Solidarität
Dies war für die Bewältigung der großen sozialpolitischen Aufgaben in Deiner Zeit als Bundesarbeits- und Sozialminister entscheidend: die Verteidigung der gesetzlichen Alterssicherung; die Bewältigung der Deutschen Sozialversicherungs-Einheit; die Abwehr der Aushöhlung der gesetzlichen Sozialversicherung durch die unsolidarische Kopfpauschale in der gesetzlichen Krankenversicherung; der Einstieg in die Pflegeversicherung in wirtschaftlich und sozial besonders schwierigen Zeiten. Auch wenn es hierbei überall die Notwendigkeit zu Nachbesserungen gibt, sind dies Meilensteine in der solidarischen Sozialversicherung. Gerade aus der Sicht der neoliberalen Angriffe mit der seit Jahren fortgesetzten Zunahme von Niedriglöhnen- und Renten bis zur Armut bei Arbeit und im Alter ist Dein hartnäckiger Einsatz für die soziale Solidarität in unserer Gesellschaft nicht hoch genug zu schätzen.
Dies gilt noch mehr für die Zukunft, da sich die seit Jahren anhaltende Spaltung unserer Gesellschaft auch infolge der ständigen Verschlechterungen in der gesetzlichen Sozialversicherung fortsetzen wird. Dabei hat auch die Deregulierung auf dem Arbeitsmarkt durch die Hartzgesetze einen entscheidenden Einfluß, der durch den gesetzlichen Mindestlohn seit 2015 zwar gemildert aber nicht beseitigt werden konnte.
Eine noch größere Dimension kommt der gesetzlichen Sozialversicherung bei der Bewältigung der Corona und Nach-Corona-Krisen zu. Die Herausforderungen für die gesetzliche Krankenversicherung sowie Arbeitslosenversicherung und Arbeitsmarktpolitik nehmen täglich weiter zu, seien es Ausrüstungen der Gesundheitssicherung, Regelungen zum Kurzarbeitergeld, zu Hartz IV sowie Aufstockung der Löhne in den Gesundheits- und Pflegeberufen, um nur einige zu nennen. Entscheidend kommt es jetzt und in Zukunft darauf an, dass nicht die sozial Schwachen die Leidtragenden der neuartig aufgetretenen Krisen sind.
Trotz scharfer Querschüsse an Verabredungen gehalten
Lieber Norbert (posthum): Auch ich selbst habe Deine zuverlässige Unterstützung erfahren, als ich zur Hochzeit der Auseinandersetzungen zwischen Bundeskanzler Helmut Kohl und den Gewerkschaften in das zweithöchste Amt als Vizepräsidentin der damaligen Bundesanstalt für Arbeit (– die heutige Bundesagentur für Arbeit) (BA) benannt wurde. Mit der Dir eigenen Zivilcourage hast Du Dich trotz scharfer Querschüsse aus CDU und Bundesregierung an die Verabredung mit dem DGB gehalten und Dich für meine Benennung als Vizepräsidentin der damaligen Bundesanstalt für Arbeit eingesetzt.
Wie sehr Du Dich dem scharfen politischen Sturm entgegenstellen mußtest, zeigt auch die gesetzliche Veränderung für meine Funktion als Vizepräsidentin der BA von der bis dahin geltenden Lebenszeit auf die Zeit von maximal 8 Jahren. Bei den anschließenden Angriffen mit besonders harten Bandagen von den meist älteren männlichen Karrierebeamten in der Verwaltung der BA hast Du mir immer den Rücken gestärkt. Dies hat mich motiviert, ermutigt und gestählt für Bereitschaft und Durchhalten in meiner anschließenden Funktion als Stellvertretende Vorsitzende des DGB sowie jetzt als Vizepräsidentin im Sozialverband Deutschland (SoVD).
Ich bin daher stolz auf das Vermächtnis in Deinem letzten Schreiben: “Du gehörst zu den wenigen Mitgliedern von Gewerkschaftsvorständen, die sich Schröder in den Weg stellten, als er begann, den Sozialstaat zu verramschen. Das gereich Dir auch heute noch zur Ehre“.
Daher Posthum: In tiefer Dankbarkeit
Deine Ursula