Der Aktienmarkt soll die Rentenlücke schließen

Aktien Diagramm

Monatelang hat die Koalition gestritten, dann wurde doch noch ein Kompromiss gefunden: Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) haben am Dienstag das sogenannte Rentenpaket II vorgestellt: Noch in diesem Jahr legt der Staat Geld aus Darlehen am Aktienmarkt an, um die Rentenbeiträge stabil zu halten. Eine gute Idee?

Mal wieder eine Rentenreform, die das bisher umlagefinanzierte gesetzliche Rentensystem für die Zukunft absichern soll. Christian Lindner spricht bei der Pressekonferenz sogar von einem “Paradigmenwechsel”. Denn schon in diesem Jahr soll eine Kapitalmarkt-gedeckte Teilfinanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung beginnen – das sogenannte Generationenkapital.

Und das geht so: Schon 2024 soll mit Darlehen aus dem Bundeshaushalt und der Übertragung von Eigenmitteln des Bundes ein dauerhaft bestehender Kapitalstock aufgebaut werden. Vorgesehen sind jährlich 12 Milliarden Euro, die auch schon für dieses Jahr im Bundeshaushalt dafür reserviert sind. Außerden sollen sie jährlich um drei Prozent anwachsen, was im Schnitt den Lohnsteigerungen entspricht. Zusätzlich sollen noch Vermögenswerte des Bundes in Höhe von 15 Milliarden in den kommenden Jahren übertragen werden. So sollen bis Mitte der 2030er-Jahre dann 200 Milliarden Euro in dem Kapitalstock vorhanden sein.

Die darlehensfinanzierten Zuführungen verändern das Finanzvermögen des Bundes nicht

Es werden dabei also keine Rentenbeiträge von Versicherten angelegt, sondern der Staat nimmt extra für diesen Zweck Schulden auf. Rechtlich zulässig und vereinbar mit der Schuldenbremse, das haben der Arbeits- und Finanzminister vorher genau geprüft, ist das. Denn das Geld wird nur angelegt. Es sind sogenannte darlehensfinanzierte Zuführungen, die das Finanzvermögen des Bundes nicht verändern. Daher werden sie auch nicht auf die Schuldenbremse angerechnet. Eine unabhängige, öffentlich-rechtliche Stiftung soll das Geld anlegen und verwalten, die Stiftung Generationenkapital, die noch gegründet werden muss.

Damit es aber schnell losgehen kann, soll der sogenannte Kenfo, das ist der Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung, das Kapital verwalten. Der Atomendlager-Fonds soll also Schulden verwalten und mit diesem Geld an der Börse spekulieren. Was dubios klingt, begründen Heil und Lindner so: Auch der Kenfo sei eine öffentlich-rechtliche Stiftung, die als einzige Institution in Deutschland bereits Erfahrungen mit der Kapitalanlage von Staatsgeldern habe. Zwischen 2017 und Mitte 2023 hat der Fonds einen Wertzuwachs von 1,8 Milliarden Euro generiert – mit einer durchschnittlichen Jahresrendite von 8,2 Prozent. Allerdings fuhr der Fonds 2022 3,1 Milliarden Euro Verluste ein. Auch das gehört zum vollen Bild.

Die Risiken sind überschaubar

Auf die Expertise der Verwalter setzt nun auch das Bundesarbeitsministerium. Die bis 2035 angelegten 200 Milliarden Euro sollen im Schnitt pro Jahr zehn Milliarden Euro an Erträgen bringen. Dieses Geld soll dann als Zuschuss an die gesetzliche Rentenversicherung zurückfließen und helfen, die Rentenbeiträge der Versicherten zu stabilisieren. Mit dem Generationenkapital werde langfristig und breit gestreut am Aktienmarkt investiert, versichert der Bundesfinanzminister. Die Risiken seien dabei überschaubar. Lindner hofft sogar auf einen “Lernprozess” der gesamten Gesellschaft. Schließlich seien die Deutschen verglichen mit anderen Ländern noch sehr scheu, wenn es um Aktien gehe. Außerdem seien im Gesetzentwurf Berichtspflichten der Stiftung vorgesehen. Und auch historische Betrachtungen und Untersuchungen zeigen, dass mit einer langfristigen und breit diversifizierten Anlagestrategie zuverlässige positive Renditen erzielt werden. Wie Daten des deutschen Aktieninstitut zeigen, war die Aktienrendite in den vergangenen Jahrzehnten betrachtet über einen langen Zeitraum von mindesten zehn Jahren tatsächlich immer positiv.

Außerdem gibt es wenig Alternativen, denn bei der Sicherung der gesetzlichen Rente ist es quasi fünf vor zwölf. Nur bis zum kommenden Jahr sind die sogenannten doppelten Haltelinien – ein Begriff, der aus einer früheren Rentenreform 2018 unter der damaligen Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles geprägt wurde – fixiert: Das Rentenniveau soll nicht unter 48 Prozent sinken, die Beiträge nicht über 20 Prozent steigen. Das kippt aber spätestens zum Ende dieses Jahrzehnts. Denn mit dem Eintritt der Boomer-Generation in die Rente steigt die Zahl der Rentnerinnen und Rentner stark an. Bis 2036 gehen ein Drittel aller heutigen Beschäftigten in Rente. Zugleich hat diese Generation eine hohe Lebenserwartung. Schon 2022 lag die durchschnittliche Rentenbezugsdauer von Männern bei mehr als 18 und bei Frauen über 22 Jahren, Tendenz steigend. Und während heute noch mehr als zwei Beitragszahler einen Rentner finanzieren, dürften ab 2030 auf einen Rentner nur noch 1,5 Beitragszahlende kommen – oder weniger, je nachdem, wie viel Zugewanderte es auf dem deutschen Arbeitsmarkt beschäftigt sind und die Rente mitfinanzieren. Laut aktuellem Rentenversicherungsbericht dürfte das Sicherungsniveau daher bis 2037 auf 45 Prozent sinken und der Beitragssatz auf 21,1 Prozent steigen. Eine Studie des arbeitgebernahen Institut für Wirtschaft (IW) in Köln zufolge könnten es auch 22 Prozent oder mehr sein.

Das Rentenloch ist groß

Dabei ächzt das gesetzliche Rentensystem schon heute: Jährlich pumpt der Bund über 110 Milliarden Euro – fast ein Viertel des gesamten Bundeshaushalts – in gesetzliche Rente. Die hohen Bundeszuschüsse sind aber auch nötig, weil die DRV viele sogenannte versicherungsfremde Leistungen wie die Mütterrente oder die Grundrente bezahlt. Also Rentenzahlungen, für die es aber keine Beiträge gibt. Klar ist also: Das Rentenloch ist groß. Damit das Rentenniveau nicht weiter sinken muss – eine Festschreibung des Rentenniveaus bei weiterhin 48 Prozent des durchschnittlichen Netto-Einkommens ist insbesondere der SPD sehr wichtig – und die Beiträge nicht außerordentlich stark steigen müssen (etwas, was sowohl die Arbeitgeber aber auch viele Beschäftigte befürchten), braucht es eine Lösung. Für FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner kann die nur am Kapitalmarkt zu finden sein:  “Das Generationenkapital nutzt erstmals die stetigen Renditepotenziale der intentionalen Kapitalmärkte für die gesetzliche Rente”, so Lindner. Dies sei überfällig. “Man hätte das bereits vor 20 Jahren tun sollen.”

Für Bundesarbeitsminister Hubertus Heil kommt der Einstieg in die Kapitaldeckung für die erste Säule der Alterssicherung “gerade noch rechtzeitig”. Er hofft, dass die Rechnung der Regierung aufgeht: Spätestens ab Mitte der 2030er-Jahre sollen so viel Erträge aus dem Generationenkapital fließen, dass die Beiträge um 0,3 Prozent sinken können. Das wären eben jene zehn Milliarden Euro, die dann aus dem Kapitalstock zurück in die gesetzliche Rentenversicherung fließen. Ökonomen wie der Wirtschaftsweise Martin Werding betonen jedoch, dass das vergleichsweise wenig Geld ist angesichts der jährlichen Ausgaben der Rentenversicherung. Zehn Milliarden Euro sichern gerade einmal einige Tage lang die Rentenzahlungen ab. Werding hält das Generationenkapital zwar grundlegend für richtig, der Einstieg in die Kapitalmarktdeckung kommt für ihn aber zu spät, auch sei der Zeitraum bis 2035 recht kurz. Andere wiederum finden es fraglich, ob die angepeilte Rendite nach Abzug der zu zahlenden Zinsen für die Staatsdarlehen im Generationenkapital so erzielt werden kann.

Lindner würde Modell erweitern

Bundesfinanzminister Christian Lindner gab sich bei der Pressekoferenz zum Rentenpaket II zuversichtlich. Man habe für das Vorhaben konservativ gerechnet, immerhin erziele auch der Kenfo durchaus eine Rendite von 11,1 Prozent. Dass das auch die Maßgabe für das Generationenkapital sein solle, darauf wollte sich der Finanzminister dann aber doch nicht festlegen. Er betonte allerdings, sofern die Erträge in dieser Größenordnung liegen, würde dies eben zu der erwarteten Senkung des Rentenbeitrags von 0,3 Prozent führen. Ginge es nach der FDP stellt der Entwurf sowieso nur einen ersten Schritt dar. Der Finanzminister würde das Modell gern erweitern. Zum Beispiel, indem direkte zusätzliche Einzahlungen über den individuellen Beitragssatz der Versicherten im Sinne einer Aktienrente, wie sie die FDP ursprünglich vorgeschlagen hatte, möglich wären. Doch diese Idee war mit der SPD nicht zu machen.

Gewerkschaften, Sozialverbände und linke Ökonomen lehnen eine Aktienrente ab, denn ein solcher Umbau der ersten Säule der Altersvorsorge würde all jene benachteiligen, die geringe Einkommen haben oder aufgrund von Carearbeit etwa durch die Pflege von Angehörigen oder Erziehungszeiten Ansprüche in der gesetzlichen Rentenversicherung erwerben, aber keine zusätzlichen Beiträge bezahlen können. Schon das Generationenkapital in dieser Form stößt auf starke Kritik. Der Sozialverband VdK und auch der Partitätische Gesamtverband etwa fordern ein Rentenniveau von 53 Prozent. Immerhin stellt die gesetzliche Altersvorsorge für Millionen von Menschen die einzige Absicherung im Alter dar, denn insbesondere Menschen mit geringem Einkommen können oft nicht privat vorsorgen und machen auch nicht von ihrem Recht auf eine Bruttoentgeltumwandlung für eine betriebliche Altersvorsorge Gebrauch – weil sie es sich nicht leisten können.

Nach dem Rentenpaket ist vor dem Rentenpaket

“Das Generationenkapital ist in seiner Ausgestaltung nicht sinnvoll und auch nicht wirksam. Es wird die Renten nicht merklich erhöhen“, ist der Ökonom Marcel Fratzscher überzeugt. Ähnlich äußert sich auch der Rentenexperte Bert Rürup, der wie kein anderer das Herumdoktern an der gesetzlichen Rentenversicherung als Wirtschaftsberater der Regierenden seit den 1970er-Jahren intensiv begleitet hat. Rürup bewertet das Generationenkapital kritisch. Wenn man die Altersarmut bekämpfen wolle, sei eine Stabilisierung des Rentenniveaus eine “höchst ungezielte und teure Maßnahme”, das Problem sei damit “nicht gelöst”, so der Ökonom im Interview mit dem Handelsblatt.

DIW-Präsident Fratzscher schlägt eine Stärkung der privaten Vorsorge vor. Ein Vorhaben, das die Regierung noch in diesem Jahr umsetzen will. Eine Expertengruppe hatte Vorschläge für eine Verbesserung der staatlich geförderten privaten Altersvorsorge für das Bundesfinanzministerium gemacht, zudem wurden bereits Gespräche mit Gewerkschaften und Wirtschaft für eine Reform der betrieblichen Altersvorsorge geführt. Bundesarbeitsminister Heil und Bundesfinanzminister Lindner wollen noch in diesem Jahr damit ein drittes Rentenpaket vorlegen.

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Tina Groll

Tina Groll arbeitet hauptberuflich als Redakteurin bei ZEIT ONLINE im Ressort Politik & Wirtschaft. 2008 zeichnete sie das Medium Magazin als eine der “Top 30 Journalisten unter 30 Jahren“ aus. Sie ist Mitglied im Deutschen Presserat sowie als Vorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union tätig. Als Autorin von WIR SIND DER WANDEL beschäftigt sie sich mit der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Gesundheitspolitik.