Rentenkasse investiert in Start-ups

Plakat mit Schriftzug change coming

Wirtschaftsminister Robert Habeck will bessere Bedingungen für Start-ups schaffen. Sie sollen künftig Wagniskapital von Rentenversicherungen erhalten können. Ist das riskant?

Deutschlands Wirtschaft, das sind Mittelstand und Industrie, aber nicht unbedingt Start-ups. Seit 2011 hat sich die Zahl der Unternehmensgründungen in der Bundesrepublik von knapp 401.500 auf gut 239.500 im Jahr 2021 fast halbiert. Dabei sind Start-ups wichtig für die Transformation der Wirtschaft – und langfristig auch für den Arbeitsmarkt. Immerhin werden durch den Umbau der Wirtschaft in den nächsten Jahren viele Arbeitsplätze etwa im Bereich Automobilindustrie wegfallen. Start-ups könnten diese Lücke füllen – mit klimafreundlichen, ökologischen und nachhaltigen Produkten, Dienstleistungen und Arbeitsplätzen, so die Hoffnung.

Doch junge Unternehmer:innen kritisieren seit Jahren, dass die Bedingungen in Deutschland alles andere als attraktiv sind. Im internationalen Standortwettbewerb hinkt die Bundesrepublik hinterher. Vor allem fällt es jungen Unternehmen schwer, Kapital für den Börsengang einzusammeln, bemängelt etwa der Start-up-Verband.

Deutschland soll Treiber eines europäischen Start-up-Standorts werden

Das soll sich nun ändern. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat erstmals eine Start-up-Strategie vorgelegt, die laut Anna Christmann, der Start-up-Beauftragten des Wirtschaftsministeriums, die größten Baustellen angeht. Das Ziel: Deutschland soll Treiber eines europäischen Start-up-Standorts werden.

Das 28 Seiten starke Papier weist tatsächlich einige Neuerungen auf. Dazu gehört, ganz grundsätzlich, dass die Bundesregierung generell eine neue Perspektive auf Start-ups wirft. Dabei kommt es nicht nur auf die finanzielle Rendite an, sondern auch darauf, welchen Beitrag Unternehmen zur Lösung gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und ökologischer Probleme leisten, heißt es in dem Papier. Wichtige Impulse gingen hier vor allem von grünen Gründungen aus.

Mehr Einhörner für Deutschland

Davon soll es mehr geben. Ein Vorhaben, so das Papier, ist die Zahl der sogenannten Einhörner zu steigern. Als Unicorns werden Start-ups bezeichnet, deren Marktwert mit mindestens einer Milliarde US-Dollar bewertet wird. Heute gibt es 25 solcher Unternehmen in der Bundesrepublik. Dazu zählen etwa der Solaranlagen-Vermieter Enpal, das Versicherungs-Start-up Wefox, der Online-Broker Trade Republic oder die Onlinebank N26. Bis 2030 sollen es laut dem Entwurf 50 von solchen Unternehmen in Deutschland geben.

Neu gegründete Firmen, die infrage kämen, gibt es – sie haben es derzeit aber schwer, an Wachstumskapital zu kommen. Zwar ist es für frisch gegründete Unternehmen mittlerweile einfacher geworden, überhaupt Finanzierungen zu erhalten. Geht es aber in der Phase vor einem potentiellen Börsengang darum, Kapital einzusammeln, sind die Bedingungen eher schlecht. Denn hierzulande fehlt es an ausreichend großen Fonds, die Beteiligungen in Höhe von mehreren hundert Millionen Euro ermöglichen können. So kommt es, dass regelmäßig ausländische Investoren in die erfolreichen deutschen Start-ups einsteigen, mit dem Ergebnis, dass die Wertschöpfung am Ende ins Ausland verlagert wird.

Doch wie soll dieses Problem gelöst werden? Die Regierung kann schließlich nicht in Risikofonds einsteigen und deren Volumen vergrößern. Die Lösung ist eine andere – und nimmt Länder wie die USA zum Vorbild: Rentenversicherer und Pensionskassen sollen die Lücke schließen und in Start-ups investieren dürfen.

Bisher lohnt sich das Investment für Renten- und Pensionskassen nicht

Klingt gut, immerhin leiden viele Rentenversicherung und Pensionsfonds unter den seit Jahren niedrigen Zinsen. Vielleicht könnte das Investment in erfolgreiche Start-ups tatsächlich gut für alle sein: die jungen Firmen, die Investoren und am Ende auch für die Versicherten. Sie würden ja indirekt vom Erfolg der Start-ups profitieren und könnten sich im besten Fall über eine kleine Rendite bei ihrer Altersvorsorge freuen.

Die Start-up-Lobby jedenfalls hat diesen Schritt schon lange gefordert. Sie verweist auf andere Länder, etwa die Vereinigten Staaten, mehrere Golfstaaten, aber auch Skandinavien und Großbritannien, wo schon seit Jahren große Summen aus den Rentenkassen über Wagniskapitaltöpfe in die Finanzierung von jungen Firmen fließen. Hierzulande aber war dies, wenn auch nicht ganz ausgeschlossen, bisher so stark reguliert, dass sich das Investment für Renten- und Pensionskassen nicht lohnte.

Und der Entwurf geht sogar noch einen Schritt weiter: Mit der Einführung der gesetzlichen Aktienrente soll dem Papier zufolge auch eine Mindestinvestitionsquote in Risikokapitalfonds kommen. Dann könnte der Staat sogar einen kleinen Teil der gesetzlichen Rentenbeiträge in Start-ups investieren. Und er packt noch ein paar Milliarden aus Steuermitteln dazu, denn die Bundesregierung stellt mit dem bereits aufgelegten Zukunftsfonds zehn Milliarden Euro neue öffentliche Mittel in einem Investitionszeitraum bis 2030 bereit. Hinter dem Zukunftsfonds verbergen sich mehrere Dachfonds, die innerhalb dieser Zeit das Geld an Risikokapitalfonds verteilen sollen, die damit bei Start-ups einsteigen können.

Viele Details sind noch komplett unklar

Es ist viel Geld, vor allem aber ein großer Schritt. Doch ist das Ganze nicht riskant? Die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer sieht dafür keine Anhaltspunkte. Sie bewertet den Vorstoß als “sehr gut”. Dem Handelsblatt sagte die Ökonomin: “Das dürfte ein wichtiges Instrument für die deutsche Gründerszene im Wettbewerb mit den USA werden.”

Das mag sein – aber was ist mit den Beiträgen der Versicherten für ihre Altersvorsorge? Nicht umsonst gibt es eine strenge Regulierung. Pensionskassen und Anbieter von Betriebsrenten stehen unter der Aufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin). Es gibt außerdem Mindest­kapitalan­forderungen und Finanzierungspläne. Und wenn alle Stricke reißen, springt der Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) ein, der dafür sorgt, dass Betriebs­renten insolvenz­geschützt sind. Unklar ist, ob und wie diese Spielregeln weiter gelten, wenn Pensionskassen und Versicherer mit Wagniskapital für Start-ups spekulieren dürfen. In dem Entwurf des Wirtschaftsministeriums findet sich dazu nichts Konkretes, lediglich von einer Wagniskapitalquote ist die Rede. Unklar bleibt, ob das außer einer Mindestbeteiligung auch eine Deckelung des Investments bedeutet.

Start-up-Lobby ist hocherfreut

Die Start-up-Lobby lobt den Entwurf. Das Handelsblatt zitiert etwa den Chef der Bundesagentur für Sprunginnovationen, Rafael Laguna de la Vera, mit den Worten: “Wow, ein großer Wurf!” Auch Christian Miele, Vorstandsvorsitzender des Start-up-Verbands, findet lobende Worte. Die in der Strategie genannten Punkte setzen die richtigen Schwerpunkte. Dass die Branche das Papier begrüßt, dürfte aber kaum erstaunen: Immerhin haben die Verbände stark daran mitgearbeitet und ist das Papier das Ergebnis von Workshops der Branche und ihrer Vertreter mit dem Bundeswirtschaftsministerium.

Nun geht der Entwurf in die Ressortabstimmung mit anderen Ministerien. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte schon Zustimmung zu einzelnen Punkten signalisiert. Bleibt nur die Frage, wie die dritte Partei in der Regierungskoalition, die SPD, die Start-up-Strategie sieht. Gut möglich, dass das SPD-geführte Arbeits- und Sozialministerium die Pläne für eine Risiko-Finanzierung von Start-ups mit Rentenbeiträgen wieder einkassiert, mindestens aber streng reguliert. Bundessozialminister Hubertus Heil gilt nicht gerade als ein Fan vom Zocken an der Börse mit Sozialversicherungsbeiträgen.

Und eines ist auch schon klar: Trotz aller guten Vorsätze wird die Strategie eher nicht dazu führen, dass Start-ups zu den Treibern für den Arbeitsmarkt werden. Heute arbeiten nur eine halbe Million Beschäftigte bei jungen Unternehmen. Bis 2030, so schätzt das Bundeswirtschaftsmininsterium, könnte sich die Zahl zwar fast verdoppeln, aber keine ganze Million überschreiten. Die meisten Beschäftigten hierzulande werden also auch künftig vor allem im Mittelstand und bei großen Industriekonzernen arbeiten.

Tina Groll

Tina Groll arbeitet hauptberuflich als Redakteurin bei ZEIT ONLINE im Ressort Politik & Wirtschaft. 2008 zeichnete sie das Medium Magazin als eine der “Top 30 Journalisten unter 30 Jahren“ aus. Sie ist Mitglied im Deutschen Presserat sowie als Vorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union tätig. Als Autorin von WIR SIND DER WANDEL beschäftigt sie sich mit der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Gesundheitspolitik.