Mitbestimmung in Aufsichtsräten nimmt kontinuierlich ab

Mann schaut aus Bürogebäude runter

Die paritätische Mitbestimmung nimmt ab – vor allem in den börsennotierten Großkonzernen. Woran liegt das?

Eigentlich ist die Mitbestimmung durch die Beschäftigten eine große Errungenschaft, auch war sie lange verbreitet. Doch der Einfluss von Gewerkschaften sinkt schon seit Jahrzehnten. Und auch der Grad der gewerkschaftlichen Organisierung der Mitarbeitenden in den Betrieben nimmt ab. Das hat auch Folgen für die Vertretung von Beschäftigten in den Kontrollremien der Wirtschaft, den Aufsichtsräten.

Neue Daten zeigen: Waren im Jahr 2015 noch alle 30 Aufsichtsräte der Dax 30-Unternehmen mitbestimmt, so sind es zur Zeit nur noch 26.  Zudem wird ab September der Dax auf 40 Unternehmen aufgestockt. Die geplanten neuen Dax-Unternehmen weisen jedoch eine geringere Mitbestimmungsquote auf – entsprechend würde sich auch insgesamt der Anteil der mitbestimmten Dax-Unternehmen verringern. Es wären nur noch dreiviertel der Dax-Konzerne, was schon eine Hausnummer ist.

Immer mehr Unternehmen wählen internationale Rechtsformen

Noch schlechter sieht es im MDAX aus: Gab es 2016 von den damals 50 MDAX-Unternehmen 12 ohne Arbeitnehmervertreter (24 Prozent), so ist diese Zahl 2021 (mit jetzt 60 Mitgliedern) auf 26 gestiegen (43 Prozent). Das zeigt eine Analyse der  Personalberatung Russell Reynolds Associates. Doch sollte man meinen, dass große Konzerne, die an der Börse notiert sind, weitgehend eine betriebliche Mitbestimmung leben. Oder nicht?

Das stimmt nur teilweise. Denn die Internationalisierung steigt. Immer mehr Firmen wählen eine andere, internationale Rechtsform. Sie firmieren als europäische Aktiengesellschaft SE – und die sind bei Gründung nicht mitbestimmungspflichtig, was dann auch bei späteren Veränderungen fortgeschrieben wird. So kommt es, dass etwa Vonovia, Deutsche Wohnen oder auch Hello Fresh keine Arbeitnehmervertretenden in ihren Kontrollgremien haben, die betriebliche Mitbestimmung also ausgeschlossen ist auf dieser Ebene. Unternehmen, die ihren Sitz im Ausland haben, unterliegen nicht der deutschen Mitbestimmung. Linde etwa firmiert als plc in Großbritannien, Airbus und Qiagen haben ihren Sitz in den Niederlanden. Für Porsche SE gilt eine Ausnahme von der paritätischen Mitbestimmung, solange sie nur als Finanzholding tätig ist. Und noch weitere zwei Unternehmen (Fresenius Medical Care und Siemens Healthineers) gelten als Teilkonzerne mitbestimmter Konzernmütter und unterliegen deshalb auch nicht der paritätischen Mitbestimmung. Und dann sind da noch andere Aufstiegskandidaten, wie etwa Zalando und Hannover Rem, die nur zur Drittelmitbestimmung verpflichtet sind – auch hier fehlt dann die volle paritätische Mitbestimmung.

Negative Folgen auch für die Frauenquote

Das Fehlen der Mitarbeitendenvertretung in den Kontrollgremien hat aber Folgen – etwa für die Frauenquote, da der Zuwachs am Anteil der Führungsfrauen in den letzten Jahren vor allem auf die Seite der Arbeitnehmervertretungen zurückzuführen ist. Das gerade verabschiedete zweite Führungspositionengesetz (FüPoG II), das eine Frauenquote für Vorstände vorschreibt, gilt nur für börsennotierte und gleichzeitig paritätisch mitbestimmte Unternehmen.

Tina Groll

Tina Groll arbeitet hauptberuflich als Redakteurin bei ZEIT ONLINE im Ressort Politik & Wirtschaft. 2008 zeichnete sie das Medium Magazin als eine der “Top 30 Journalisten unter 30 Jahren“ aus. Sie ist Mitglied im Deutschen Presserat sowie als Vorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union tätig. Als Autorin von WIR SIND DER WANDEL beschäftigt sie sich mit der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Gesundheitspolitik.