Kritisches Feedback nach oben geben

Mann schaut aus Bürogebäude runter

In vielen Unternehmen ist es nach wie vor ein Tabu, Vorgesetzten ehrliches, kritisches Feedback zu geben. Je größer der Abstand in der Hierarchie zwischen Mitarbeiter und Vorgesetztem, desto stärker ausgeprägt ist das Tabu.

In erster Linie hängt es von der einzelnen Führungskraft ab, ob sie Feedback von ihren Mitarbeitern bekommt. Auch gibt es in erwähnenswerter Anzahl Ausnahmen, also Führungskräfte, die ihre Mitarbeiter regelmäßig um ehrliche Rückmeldungen fragen. Doch nur in den wenigsten Unternehmen wird über die verschiedenen Hierarchieebenen hinweg eine Kultur des konstruktiv kritischen Feedbacks von unten nach oben gepflegt. Vielmehr hat Feedback, wenn überhaupt, nur eine Richtung – von oben nach unten.

Ehrliches, und damit gegebenenfalls auch kritisches Feedback der Mitarbeiter in Richtung der Führung wird zwar offiziell immer wieder eingefordert und formal verankert, ist allerdings nur selten wirklich erwünscht. Auch fragen viele Vorgesetzte nicht aus eigenem Antrieb nach Feedback zu ihrem Führungsverhalten und stellen sich nicht der Kritik ihrer Mitarbeiter. Und fordern sie bei ihren Mitarbeiter Rückmeldungen ein, fragen sie meist nur ihre Befürworter und Anhänger, von denen sie fast ausschließlich Bestätigung bekommen.

Ein weiteres Problem ist, dass Vorgesetzte auf Nachfrage von ihren Mitarbeitern nicht die Wahrheit gesagt bekommen, sondern das, was sie aus Sicht der Mitarbeiter vermutlich hören wollen. Dies bezieht sich im schlimmsten Fall nicht nur auf Rückmeldungen zum Führungsverhalten, sondern auch auf Einschätzungen zum Unternehmen oder zum aktuellen Stand einzelner Projekte. Und ungefragt gegebenes Feedback von Mitarbeitern stößt bei Vorgesetzten auf Reserviertheit, wird als Unverschämtheit oder Besserwisserei empfunden oder als „nicht ernst zu nehmen“ abgetan.

„Geschäftsführerkrankheit“ als Folge mangelnden Feedbacks

„Das Problem ist ein Mangel an Feedback (…). Für Führungskräfte ist es besonders schwierig, ehrliches Feedback zu bekommen – besonders wenn es um ihre Führungsqualitäten geht.“ Je höher man in der Hierarchie steigt, desto einsamer kann es um einen herum werden. Daniel Goleman, Richard Boyatzis und Annie McKee nennen es in in ihrem Buch „Emotionale Führung“ die „CEO disease“, d. h. die „Geschäftsführerkrankheit“ und meinen damit das „Informationsvakuum rund um eine Führungskraft, das entsteht, wenn Mitarbeiter wichtige (oder unangenehme) Informationen zurückhalten.“

Insbesondere Topmanager laufen in ihrer isolierten Position Gefahr, ein falsches Bild von ihrer eigenen Leistung, von ihrem Kommunikationsverhalten und von ihrer Wirkung auf die Mitarbeiter zu entwickeln. Nicht selten neigen sie zur Selbstüberschätzung – auch weil ihnen ein ehrliches Feedback zum Abgleich fehlt.

Selbst- und Fremdbild fallen deutlich auseinander

Laut der im Auftrag der Stuttgarter Initiative Zukunftsfähige Führung (IZF) erstellten repräsentativen Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach „izf Führungs-Studie 2016 – Was macht Führung zukunftsfähig?“ bescheinigen nur 38 Prozent der Nachwuchskräfte ihrem direkten Vorgesetzten, offen für Kritik zu sein. Mit 67 Prozent schreiben sich Führungskräfte selbst deutlich häufiger Offenheit für Kritik zu. Gerade bei diesem Aspekt des Führungsverhaltens fallen Selbst- und Fremdbild mit 29 Prozentpunkten Unterschied besonders deutlich auseinander.

Wenn einem keiner mehr ehrlich eröffnet, welche Wirkung man auf ihn hat, bleibt man im Bereich von Mutmaßungen – oder bei einer durch den eigenen Narzissmus geleiteten Selbstbetrachtung. Das Selbstbild entfernt sich von dem Fremdbild, welches andere von einem haben. Es fehlt das Korrektiv von außen.

Davon betroffen ist allerdings nicht nur die Spitzenebene. Das Phänomen setzt schon im Mittelmanagement ein, und zwar genau an der Stelle, wo es nur noch relativ wenige Führungskräfte auf der gleichen Hierarchieebene gibt und wo Konkurrenzdenken herrscht. Es ist einer der bekannten Fallstricke von Führungskräften – wer als Führungskraft keinen Rahmen für ehrliches Feedback schafft und nicht seine Selbsteinschätzung hinsichtlich der eigenen Fähigkeiten überprüft, kann schnell als Führungskraft scheitern.

 

Versteckte Regeln und ungeschrieben Gesetze in Organisationen.


Tabu

Versteckte Regeln und ungeschriebene Gesetze in Organisationen
von Thomas Saller, Sebastian Mauder und Simone Flesch
Haufe Verlag (1. Auflage, August 2016)
29,95 Euro
ISBN 9783648090787

Die Ratgeber-Redaktion

Unter der Autor:innen-Bezeichnung REDAKTION veröffentlichten DIE RATGEBER von 2010 bis 2020 Gastbeiträge sowie Agenturmeldungen. Im August 2020 gingen die Inhalte von DIE RATGEBER auf die Webseite WIR SIND DER WANDEL über.