Viele glauben, immer erreichbar sein zu müssen, ist ein notwendiges Übel. Diese Erreichbarkeit hat jedoch gravierende Folgen – und tut gar nicht Not, weiß Nicole Willnow.
Ein Gastbeitrag von Nicole Willnow
Vor kurzem war ich auf einer Veranstaltung der Körber-Stiftung in Hamburg. Das Thema lautete: 24 Stunden flexibel = immer arbeiten? Es ging unter anderem darum, ob die schöne neue Arbeitswelt uns alle an den Rand des Wahnsinns treibt. Na gut, sagen wir an den Rand unserer Belastbarkeit – Stichwort Burnout und so weiter. Und zwar, weil die digitale Kommunikation und Arbeitsweise zwar viel Flexibilität erlaubt, aber dafür ewige Erreichbarkeit verlangt. Soviel vorab: Nicht nur ich, sondern auch die Mehrheit des Podiums sagte da recht klar: Nein, das muss nicht sein.
Kostet es den eigenen Job, nicht erreichbar zu sein?
Ja, der Wunsch nach Unabhängigkeit und Flexibilität kann nicht nur Segen, sondern auch Belastung sein. Aber dass daraus kein Stress wird, hat eigentlich jeder Arbeitnehmer oder Selbständige selbst in der Hand. Zum Beispiel, indem man sich gar nicht erst einspannen lässt, allzeit erreichbar zu sein. Flexible Arbeitsmodelle, Home Office und andere Begleiterscheinungen von New Work bedeuten nicht, dass man mehr als die vereinbarte Arbeitszeit aufbringen muss. Vielmehr ist die Zeit anders verteilt.
Selbst Angestellte mit festen Bürozeiten sind nicht immer am Platz und erreichbar. Und auch für die, die (beruflich) unterwegs sind, gibt es viele Gründe nicht sofort auf Anrufe oder E-Mails zu reagieren, nur weil sie online sind. In der Regel kostet es weder den Job, noch einen Kunden, wenn man erst später reagiert.
Was angemessen ist, ist situationsabhängig und sollte jeder halbwegs erfahrene Berufstätige selbst entscheiden können. Auch und gerade wenn man den zugrunde liegenden Vorstellungen von New Work und den damit verbundenen Freiheiten folgt.
Ständige Erreichbarkeit – eine überflüssige Angewohnheit?
Dass ständige Erreichbarkeit ein Stressfaktor ist, ist also meist hausgemacht. Vor diesem Hintergrund sollte es leichter fallen, Nein zu sagen und Grenzen setzen zu können. Es ist ein Aushalten notwendig, weil wir uns angewöhnt haben, „pronto“ zu reagieren. Was man sich aber angewöhnt hat, kann man sich auch wieder abgewöhnen. Mein Tipp: Einfach mal ausprobieren.
In meiner Zeit in einem großen Verlagshaus habe ich erlebt, dass man den langjährigen Pressesprecher eines wichtigen Magazins dreimal in drei Jahren aus dem Urlaub holen musste, weil so wichtige Dinge passiert waren und man nicht auf ihn verzichten konnte. Erreichbarkeit war damals auch ohne Handy und Digitalisierung möglich und wichtig. Er hat es kein einziges Mal krumm genommen, sondern fühlte sich zuständig und hat entsprechend souverän gehandelt.
Es ist wie häufig die eigene Entscheidung, ob man sich den Willen anderer aufdrücken und damit stressen lässt. Wichtiger als die ständige Erreichbarkeit ist heute sowie in der Zukunft doch wohl das Commitment und die Loyalität, die man Arbeitgebern, Kunden oder auch den Beschäftigten entgegenbringt. Sind die vorhanden, bringen beide Seiten auch das nötige Vertrauen auf, um richtige Entscheidungen über die Erreichbarkeit treffen zu können.
Egal wie wir also mit der Erreichbarkeit umgehen wollen, lasst uns zusammen die Zukunft entwickeln…