Elterngeldstreichung ohne Sinn und Verstand

Bild von Vater, Mutter, Kind auf Asphalt gemalt

Die Einkommensgrenze beim Elterngeld soll stark gesenkt werden. Verliererinnen sind dabei die Frauen. Denn damit werden tradierte Rollenbilder weiter zementiert – und das wäre verheerend für die Gleichstellungspolitik.

Die Wut ist aktuell groß: “Das ist ein Schlag für alle Familien, Frauen und Kinder!”, “Die Gleichstellung wird konterkariert”, “Das ist eine grundfalsche Entscheidung” – so kommentieren viele aufgebrachte Eltern die geplanten Kürzungen im Bundeshaushalt beim Elterngeld. Der von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) auf den Weg gebrachte Sparhaushalt für 2024 sieht auch Einschnitte beim Elterngeld vor. Für viele Familien soll die Leistung komplett gestrichen werden, weil die Einkommensgrenze stark gesenkt werden soll. Schon ab 150.000 Euro Einkommen gibt es dann nach der Geburt des Kindes keine Lohnersatzleistung mehr.

Cover für Überall, nur nicht im BüroBisher erhalten Paare Elterngeld, wenn sie ein gemeinsames Jahreseinkommen von bis zu 300.000 Euro haben, das ist schon eine Größenordnung, bei der man zurecht von sehr wohlhabenden Paaren sprechen kann. Bei einer Grenze von 150.000 Euro sieht das Ganze anders aus. Auf diese Summe kommen zwei, die Vollzeit arbeiten, schon mal eher. Und dazu dieser Überraschungseffekt: Das Ganze würde ja schon 2024 greifen. Wer also gerade ein Kind erwartet, erlebt damit gerade den Super-GAU für die Finanzplanung. Da erstaunt es nicht, dass keine 24 Stunden nach Bekanntwerden schon die erste Petition gestartet wurde. Bereits über 200.000 haben die Petition von Verena Pausder unterzeichnet. Selbst der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), der sonst wenig Mitleid hat, wenn Besserverdienende Einsparungen hinnehmen müssen, kritisiert das Sparvorhaben. “Jetzt das Elterngeld zusammenzustreichen, ist nichts anderes als gleichstellungspolitischer Irrsinn”, sagt etwa die DGB-Vizevorsitzende Elke Hannack. Der Vorschlag sei “ohne Sinn und Verstand”.

Bemessungsgrenze bezieht sich nicht auf das Bruttoeinkommen

Dieser Gedanke drängt sich auf, auch wenn 150.000 Euro gemeinsames Einkommen immer noch recht viel ist. Laut Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) hätten vermutlich rund 60.000 Familien künftig keinen Anspruch mehr auf die staatliche Lohnersatzleistung. 60.000 Familien ist nicht wenig – allerdings haben zum Beispiel im vergangenen Jahr knapp 1,4 Millionen Frauen und fast eine halbe Millionen Männer Elterngeld erhalten. Betroffen sind also doch nur ein paar Zehntausend.

Man darf auch nicht verwechseln, dass sich die Bemessungsgrenze nicht auf das Bruttoeinkommen bezieht, sondern auf das sogenannte Elterngeld-Netto. Es werden vom eigentlichen Brutto noch sehr hohe Beträge abgezogen. Die Elterngeldstellen berechnen das Ganze und wenden ein vereinfachtes Verfahren an. Sie ziehen vom gemeinsamen Jahresbrutto dann pauschal allerhand Ausgaben oder Freibeträge ab. Steuern und Sozialabgaben gehören dazu und auch der Solidaritätszuschlag, den viele in dieser Einkommensgröße noch zahlen müssen. Außerdem werden großzügige Freibeträge für ältere Kinder gewährt. Es ist also mitnichten so, dass schon Paare betroffen sind, die jeweils beide 75.001 Euro Jahresbrutto verdienen. Vielmehr sind es Familien, in denen beide Partner ein sechsstelliges Jahresbruttoeinkommen haben.

Wieder finanziell voll abhängig vom Ehemann

Allerdings sind diese Menschen eben auch keine Superreichen. Es dürften größtenteils Personen sein, die viel Geld in ihre eigene Ausbildung gesteckt haben, um später einmal gut zu verdienen. Nicht wenige dieser Menschen dürften Wählerinnen und Wähler der Grünen, aber auch der FDP sein. Warum die Ampel ausgerechnet sie vergrätzt, erscheint tatsächlich wenig durchdacht. Hat da jemand beim Ansetzen des Rotstifts nicht an die politischen Folgen gedacht?

Fatal ist, dass das Einkommen beider Partner zusammen betrachtet wird. Es kommt also nicht darauf an, ob der eine sehr viel und die andere eher durchschnittlich verdient hat vor der Geburt des Kindes. Nach wie vor sind es ja vor allem die Frauen, die das geringere Einkommen haben. Deutschland hinkt bei der Beseitigung des Gender Pay Gaps zwischen den Geschlechtern im EU-Vergleich ja immer noch hinterher. Im Schnitt verdienen Frauen 18 Prozent weniger Geld als Männer. Betrachtet man nur völlig vergleichbare Beschäftigte, zeigt sich immer noch eine Lohnlücke von sechs Prozent weniger für die Frauen. Und weil Kinderbetreuungsplätze für Kinder unter einem Jahr extrem rar sind, werden viele Paare genau rechnen müssen. Und dann entscheiden, dass die Frau zu Hause bleibt und die Partnermonate für den Mann gar nicht genommen werden können. Damit werden jedoch tradierte Rollenbilder weiter zementiert – und das wäre verheerend für die Gleichstellungspolitik.

“Für die Gleichstellung ist das kein Glanzstück”

Dabei treten wir gerade hier schon lange auf der Stelle: Seit der Einführung des Elterngelds im Jahr 2007 zeigt sich eine traditionelle Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern, an der sich einfach nichts ändert. Mehr Frauen als Männer nehmen Elternzeit. Der Väteranteil ist immer noch niedrig, zuletzt lag er bei 26 Prozent. Auch was die Dauer angeht, herrscht seit 15 Jahren quasi Stillstand: Die Frauen nehmen meist mindestens ein ganzes Jahr – und kehren dann, wenn überhaupt, in Teilzeit zurück, was die extrem hohe Teilzeitquote der Frauen in Deutschland erklärt. Die Männer nehmen allenfalls zwei bis drei Monate Elternzeit, oft parallel zur Partnerin. So kann sich natürlich keine neue Rollenverteilung einspielen.

Wir sind der Wandel-NewsletterWenn bei einigen nun die Lohnersatzleistung generell wegfällt, weil einer oder beide zu gut verdient haben, gibt es noch eine weitere Rolle rückwärts: Dann ist die Frau während ihres Elternzeitjahres finanziell komplett abhängig von ihrem Mann, so wie in den Fünfzigerjahren. Und viele jüngere Frauen mit Kinderwunsch werden sich dann gut überlegen, ob sie einen Job mit einem hohen Gehalt anstreben, weil sie dann ja kein Elterngeld bekommen könnten. Die langfristige Wirkung dieser Streichpläne könnte daher folgenschwer sein. “Für die Gleichstellung ist das kein Glanzstück”, sagt auch Familienministerin Lisa Paus.

Eine Stärkung sieht anders aus

Ein Satz, der Gänsehaut erzeugt. Wie nur kann ausgerechnet eine grüne Familienministerin so gleichmütig eine Politik durchziehen, die sämtlichen gleichstellungspolitischen Zielen der Ampel-Koalition und dem Selbstverständnis der Grünen als Gleichberechtigungspartei zuwiderläuft? Wie kann ausgerechnet Paus, die Gleichberechtigung als “universelles Meschenrecht” bezeichnet, so eine Politik nur verantworten?

Aber wie kann auch der Rest der Regierung solche Sparpläne überhaupt nur erwägen? Im Koalitionsvertrag hatten SPD, FDP und Grüne vereinbart, Familien dabei zu “unterstützen, wenn sie (…) Erwerbs- und Sorgearbeit partnerschaftlich aufteilen wollen. Wir werden das Elterngeld vereinfachen (..) und die gemeinschaftliche elterliche Verantwortung stärken”, heißt es da. Eine Stärkung jedoch sieht anders aus.

Der Spielball liegt wieder bei der Familienministerin

Und dann muss man sich noch vor Augen führen, dass die Streichung beim Elterngeld lediglich 290 Millionen Euro an Einsparungen bringt. Verglichen mit den 13,4 Milliarden Euro Gesamtetat für die Familienpolitik im kommenden Jahr ist das sehr wenig. Bundesfinanzminister Christian Lindner schrieb entsprechend auf Twitter: “Wenn die zuständige Kollegin selbst von der Änderung beim Elterngeld nicht überzeugt ist, dann kann und sollte sie ihren Konsolidierungsbeitrag in anderer Weise erbringen.”

Der Spielball liegt damit wieder bei der Familienministerin. Sie sollte dringend einen besseren Vorschlag vorlegen. Aber ob sie dafür gerade den Kopf frei hat? Immerhin liegen zermürbende Monate des Streits mit der FDP über die Kindergrundsicherung hinter ihr. Auch die Kindergrundsicherung wurde massiv zusammengekürzt – von einst 12 Milliarden Euro auf 2 Milliarden Euro.

Eine moderne Familienpolitik erfordert Mut

Fakt aber ist: Die Familienpolitik hierzulande muss besser werden. Die Kürzungen beim Eltergeld sind verglichen mit der auf das Nötigste zusammengestrichene Kindergrundsicherung vielleicht ein Problemchen. Aber beide Projekte zeigen, dass die Familienpolitik hierzulande viel zu kurz kommt.

Ginge es anders? Ja. Aber dazu gehört Mut. Man könnte zum Beispiel die seit Jahren kritisierten Fehlanreize bei der Fiskal- und Familienpolitik endlich abschaffen: Das Ehegattensplitting etwa, das Familien dafür finanziell belohnt, wenn die Partnerin nicht oder nur geringfügig erwerbstätig ist. Man könnte Minijobs nur noch für Rentner und Studierende erlauben, dann würden Millionen von Müttern nicht in geringfügiger Beschäftigung kleben. Das wäre auch gut für den Arbeitsmarkt, wo die gut ausgebildeten Frauen dringend gebraucht werden. Gäbe es mehr Anreize, damit Frauen ihre Erwerbstätigkeit ausweiten, wären außerdem mehr Steuereinnahmen vorhanden. Geld, das der Staat dann in den Ausbau der Kitaplätze und Ganztagsschulen stecken könnte. Und vielleicht wären dann wieder mehr Menschen zufrieden und einverstanden mit der Familienpolitik hierzulande.

Tina Groll

Tina Groll arbeitet hauptberuflich als Redakteurin bei ZEIT ONLINE im Ressort Politik & Wirtschaft. 2008 zeichnete sie das Medium Magazin als eine der “Top 30 Journalisten unter 30 Jahren“ aus. Sie ist Mitglied im Deutschen Presserat sowie als Vorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union tätig. Als Autorin von WIR SIND DER WANDEL beschäftigt sie sich mit der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Gesundheitspolitik.