Obwohl die Prüfungen oft erfolgreich sind, kontrolliert der Staat nur 5,7 Prozent der Einkommensmillionäre. Damit entgehen ihm Milliarden – nicht aus Milde, sondern wegen fehlenden Personals und politischer Versäumnisse.
Die Empörung über die sinkende Zahl von Steuerprüfungen bei Spitzenverdienern ist verständlich, greift aber zu kurz. Eine Anfrage der Linksfraktion brachte ans Licht: 2022 wurden nur 870 der über 34.000 Einkommensmillionäre in Deutschland geprüft. In 661 Fällen folgten Nachforderungen – eine Erfolgsquote von über 75 Prozent. Die eigentliche Schlagzeile lautet jedoch: Zehntausende Spitzenverdiener blieben ungeprüft.
Diese Zahlen zeigen nicht nur ein strukturelles Ungleichgewicht, sondern auch ein tieferes Problem. Die Prüfquote ist zu niedrig und falsch ausgerichtet. Der Staat schöpft sein Potenzial nicht aus, wenn er Einkommen flächendeckend kontrolliert. Stattdessen sollte er Finanzkriminalität gezielt bekämpfen – dort, wo komplexe Strukturen, internationale Verflechtungen und kreative Steuertricks Milliarden kosten.
Mehr und bessere Steuerprüfer:innen
Die Fakten sprechen für sich. Großunternehmen brachten 2023 durch Nachforderungen 7,8 Milliarden Euro ein – über 70 Prozent aller Mehreinnahmen aus Betriebsprüfungen. Auch bei Einkommensmillionären liegt der durchschnittliche Mehrertrag pro Prüfung bei über 300.000 Euro. Dennoch liegt die Prüfquote bei mageren 5,7 Prozent. Der Staat verzichtet damit auf Milliarden – nicht aus Nachlässigkeit, sondern wegen Personalmangels. Die Zahl der Betriebsprüfer:innen sinkt seit Jahren. 2023 waren es nur noch 12.400, im Vorjahr fast 13.000. Gründe sind Überalterung, unattraktiven Arbeitsbedingungen und Fachkräftemangel. Finanzämter klagen über offene Stellen, Nachwuchsprobleme und Konkurrenz durch die Privatwirtschaft.
Der Staat muss umsteuern. Er braucht mehr Steuerprüfer:innen – gut ausgebildet, fair bezahlt und mit modernen Arbeitsplätzen. Fachleute für internationale Steuerstrukturen, Kapitalerträge, Kryptowährungen und digitale Geschäftsmodelle sind unverzichtbar. Gleichzeitig muss die Finanzverwaltung digitaler werden. KI-gestützte Risikoprofile können Prüfungen dorthin lenken, wo Steuervermeidung am wahrscheinlichsten ist. Auch eine Bargeldobergrenze, wie sie viele EU-Staaten längst haben, würde Geldwäsche und Steuerhinterziehung erschweren.
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Finanzkriminalität gezielt bekämpfen
Was wenig bringt, ist die Idee, Beschäftigte mit hohem Einkommen stärker zu prüfen. Wer sein Gehalt über Lohnsteuer bezieht, hat kaum Spielraum für Tricks. Die Prüfquote liegt hier bei unter einem Promille – und gutem Grund. Stattdessen wäre eine Vermögenssteuer das richtige Mittel, um Wohlhabende stärker an der Finanzierung des Gemeinwesens zu beteiligen, ohne den Eindruck zu erwecken, Leistung zu bestrafen.
Die schwarz-rote Koalition hat im Koalitionsvertrag 2025 ehrgeizige Pläne formuliert: schärfere Vermögensabschöpfung, Beweislastumkehr bei unklarer Vermögensherkunft und ein „Follow-the-Money“-Ansatz gegen Geldwäsche. Das klingt gut und ist überfällig. Doch bleibt die Frage, ob diese Maßnahmen konsequent umgesetzt werden – oder im Verwaltungsalltag versanden. Mit Friedrich Merz als Kanzler steht ein Mann an der Spitze, der selbst zur ökonomischen Elite gehört. Sein Vermögen wird auf zwölf Millionen Euro geschätzt, sein Jahreseinkommen auf eine Million. Das ist legitim, wirft aber Fragen auf: Wird ein Kanzler, der selbst zur Elite zählt, den politischen Willen aufbringen, diese Elite stärker zu kontrollieren?
Steuergerechtigkeit ist keine technische Frage, sondern eine des politischen Willens. Wer Steuervermeidung und Finanzkriminalität ernsthaft bekämpfen will, muss dort ansetzen, wo das Geld ist: bei großen Vermögen, internationalen Konzernen und komplexen Finanzstrukturen. Und er muss in die Menschen investieren, die diesen Kampf führen – die Steuerprüfer:innen in den Finanzämtern. Denn eines ist sicher: Jeder Euro, der in eine gute Steuerprüfung fließt, kommt mehrfach zurück. Es ist Zeit, dass wir uns das leisten – aus fiskalischer Vernunft und aus Respekt vor allen, die ehrlich ihre Steuern zahlen.