Trotz steigender Tariflöhne und sinkender Inflation faktisch weniger Kaufkraft

Mehrere Personen auf Büroflur

Deutsche haben 2023 trotz steigender Tariflöhne und sinkender Inflation faktisch weniger Kaufkraft. Das heißt, die Löhne vieler Beschäftigter sind trotz Erhöhung real gesunken.

Trotz eines nominalen Anstiegs der Tariflöhne um durchschnittlich 5,6 Prozent im Jahr 2023 sehen viele Deutsche ihr verfügbares Einkommen aufgrund einer erwarteten Inflation von sechs Prozent schrumpfen. Laut Daten des Tarifarchivs des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung zeigen sich die tarifvertraglich vereinbarten Reallöhne in Deutschland durchschnittlich um 0,4 Prozent rückläufig.

Thorsten Schulten, Leiter des WSI-Tarifarchivs, betont, dass die Kaufkraft der Tarifbeschäftigten im Jahr 2023 “annähernd gesichert” werden konnte. Dennoch weist er auf die erheblichen Reallohnverluste der beiden Vorjahre hin, die nicht in einer einzelnen Tarifrunde ausgeglichen werden können.

Finanzielle Situation einiger Beschäftigter fällt positiver aus

Cover für Überall, nur nicht im BüroWährend die Tariflöhne in den vergangenen Jahren stetig gestiegen waren, erlebten die Verbraucher in den Jahren 2021 und 2022 eine spürbare Preissteigerung, die die Lohnentwicklung übertraf. Die Experten des WSI weisen jedoch darauf hin, dass ihre Berechnungen für 2023 die Auswirkungen der in vielen Branchen vereinbarten steuer- und abgabenfreien Inflationsausgleichsprämien nicht vollständig berücksichtigen konnten. Dies könnte dazu führen, dass die finanzielle Situation einiger Beschäftigter positiver ausfällt.

Schulten erklärt, dass Inflationsausgleichszahlungen in vielen Tarifbranchen dazu beigetragen haben, “Reallöhne nicht nur zu sichern, sondern teilweise auch deutlich anzuheben”. Da es sich jedoch um Einmalzahlungen handelt, werden sie in den kommenden Jahren die Lohnentwicklung erheblich dämpfen. Ein Vorteil dieser Prämien besteht jedoch darin, dass sie insbesondere den unteren Lohngruppen zugutekommen.

Steigende Reallöhne zur Stabilisierung der schwachen Konjunkturentwicklung

Wir sind der Wandel-NewsletterMit Blick auf die Tarifrunden im Jahr 2024 erwartet Schulten aufgrund rückläufiger Inflationsraten eine gewisse Entspannung. Dennoch bestehe aufgrund der vorangegangenen Reallohnverluste ein erheblicher Nachholbedarf. Schulten betont auch die Bedeutung steigender Reallöhne zur Stabilisierung der schwachen Konjunkturentwicklung in Deutschland.

Arbeitgebervertretende warnen jedoch davor, die finanzielle Belastung der Unternehmen während der anhaltenden Konjunkturflaute zu erhöhen. Die Debatte über angemessene Lohnsteigerungen und die Sicherung der Kaufkraft wird somit auch in den kommenden Jahren eine wichtige Rolle in der deutschen Wirtschaftspolitik spielen.

Tina Groll

Tina Groll arbeitet hauptberuflich als Redakteurin bei ZEIT ONLINE im Ressort Politik & Wirtschaft. 2008 zeichnete sie das Medium Magazin als eine der “Top 30 Journalisten unter 30 Jahren“ aus. Sie ist Mitglied im Deutschen Presserat sowie als Vorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union tätig. Als Autorin von WIR SIND DER WANDEL beschäftigt sie sich mit der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Gesundheitspolitik.