Jammert ein Kollege stets und ständig über zu viel Stress, ist es gar nicht so einfach herauszufinden, ob der jetzt wirklich gestresst ist oder nur so tut.
Neulich beklagte sich ein Bekannter bei mir, dass seine Kollegin ständig darüber jammert, dass sie so gestresst sei, und dass sie deshalb vermutlich bald ganz krank werde, wenn sich nichts ändert. Mein Bekannter, normalerweise ein empathischer Mensch, verstand nicht, was genau sie meinte. Denn erst am Tag davor stand sie eine Stunde in der Kaffeeküche, um sich mal wieder zu beklagen. Wer so viel Zeit zum Jammern hat, kann doch nicht zu viel zu tun haben? Was ist nur los mit der? Ist die jetzt wirklich gestresst oder tut die nur so?
Meine Erfahrung zeigt, dass sich viele angesichts der Mengen von Kollegen, die über zu viel Stress klagen, diese Frage stellen. Doch wer jammert nur, um sich wichtig zu machen und wer steht wirklich kurz vor dem Zusammenbruch?
Das Schweigen und Verheimlichen der Belastung ist ein Teil der Erschöpfungs-Dynamik
Meine Erfahrung zeigt auch, dass es gar nicht so einfach ist zu beantworten. Experten, wie der Psychiater Hans-Peter Unger, der häufig mit Burnout-Patienten arbeitet, stellt immer wieder fest: Diejenigen, die tatsächlich eine Stresskrise erleben, haben meist vorher nicht darüber geredet. Das Schweigen und Verheimlichen ihrer Belastung ist ein Teil der Erschöpfungs-Dynamik.
Dass jemand kurz vor dem Stress-Overkill steht, erkennt man eher an anderen Zeichen:
Sozialer Rückzug: Ein Kollege oder eine Kollegin, die früher voll im Team integriert war, geht nicht mal mehr mit zum Mittagessen.Stattdessen wird weiter in die Tastatur gehackt und ein Brötchen gemümmelt. Und jeden Tag heißt es: Ich hab hier grad noch was Wichtiges. Morgen komme ich bestimmt mit…
Emotionaler Rückzug: Jemand, der eigentlich meist gute Laune hatte, seinen Kollegen und Aufgaben eher positiv begegnete, wirkt plötzlich in sich zurück gezogen und überkritisch. Überall sieht er Probleme, kritisiert ohne Unterlass und lässt kein gutes Haar am Chef, den Kollegen, seinen Aufgaben.
Überlastungszeichen: Ein Mitarbeiter, der bisher immer einen guten Job gemacht hat, zuverlässig und korrekt arbeitete, aber auch den Blick für das rechte Maß hatte, entwickelt Konzentrationsprobleme, vergisst wichtige Termine oder vertrödelt sich perfektionistisch in Details.
Gefühle in der Achterbahn: Eine Person, die man als relativ ausgeglichen kennt, ringt im Meeting mit der Fassung, weil wieder eine Änderung im laufenden Projekt bekannt gegeben wird.
All dies können Anzeichen dafür sein, dass hier ein Mensch wirklich in der Stress-Schleife festhängt. Was aber kann man hier tun? Ansprechen? Schweigen? Der Führungskraft einen Wink geben?
Wenn Sie den Kollegen oder die Kollegin gut kennen und sie sich mögen, können Sie das Thema behutsam ansprechen. Indem Sie beispielsweise ganz schlicht fragen, wie es dem anderen eigentlich geht. Vielleicht erzählt die Person dann von sich aus, dass gerade im Privatleben die Hütte brennt und das einfach alles ein bisschen viel ist. Oder ein Projekt gerade extrem an den Nerven zerrt. Oder, dass die neuen Aufgaben, die man nach der Umstrukturierung bekommen hat, so überhaupt nicht passen.
Der Austausch unter Kollegen kann den Blick für Neues öffnen
Natürlich können Sie den anderen nicht retten. Und vielleicht können Sie auch nichts aktiv verändern. Doch manchmal kommen die Menschen im Gespräch mit anderen selbst darauf, dass die Stress-Schieflage so nicht in Ordnung ist. Und vielleicht kommt die Person im Gespräch sogar selbst auf ein paar konstruktive Ideen für ihre Entlastung. Der Austausch unter Kollegen kann da durchaus den Blick für neue Möglichkeiten öffnen. Denn hilfreich wäre es, wenn die Person lernt, mit ihren Belastungen konstruktiver umzugehen, anstatt das Leben und die Arbeit roboterhaft „wegzuschaffen“ – und dabei immer tiefer in die Stress-Spirale rutscht. Das ist allerdings gar nicht so leicht. Je nach Persönlichkeit ist der Leistungswunsch ja sehr tief verankert und das eigene Bild vom „richtigen“ Ich extrem überzogen.
Auseinandersetzen oder aus dem Weg gehen?
Und was macht man mit denen, bei denen man genau spürt, dass sie nur jammern und klagen, um sich zu entlasten und eigene Verantwortlichkeit abzuwehren? Wenn Sie diejenigen mögen, können Sie freundlich zuhören. Wenn Sie befreundet sind, können Sie auch mal ganz direkt anmerken, dass Sie spüren, dass das Meckern doch gar nichts ändert und Sie belastet. Kann allerdings sein, dass der Jammerer daraufhin sauer wird.
Falls Sie kein menschliches Interesse an diesem Kollegen oder dieser Kollegin haben, gehen Sie ihr aus dem Weg und verbringen Sie Ihre Kaffeepausen zukünftig mit Kollegen und Kolleginnen, mit denen der Pausen-Smalltalk so verläuft, dass man sich danach frischer und energetischer fühlt als vorher.
In diesem Sinne, bleiben Sie gesund!
Burnout – und dann?
Wie das Leben nach der Krise weitergeht
von Carola Kleinschmidt
Kösel Verlag (1. Auflage, Juni 2016)
ca. 17,99 Euro
ISBN 978-3-466-34636-3
* Männer und Frauen werden natürlich mitgedacht. Der Einfachheit halber nehme ich pro Artikel nur ein Geschlecht. Mal Sie. Mal Er.