Tägliche Online-Meetings und Videocalls sind mittlerweile selbstverständlich geworden. Wie wir online genauso kreativ sind wie in Präsenzmeetings, weiß Ingrid Gerstbach, Wirtschaftspsychologin und Design Thinking-Expertin.
Die Wirtschaftspsychologin und Design Thinking-Experin Ingrid Gerstbach gibt in ihrem Buch Die Kunst der Online-Moderation. Tools, Ideen und Tipps für die erfolgreiche Umsetzung wertvolle Impulse, wie virtuelle Teams zu Top-Ergebnissen kommen.
Wir sind der Wandel: Durch Corona wurden Teams zu virtuellen Teams. Was sind die größten Herausforderungen für virtuelle Teams?
Ingrid Gerstbach: Virtuelle Meetings haben in einer Weise zugenommen, die belastend ist. Wir hetzen von Online-Meeting zu Online-Meeting, können das Gehörte kaum verarbeiten, sind also ständig in einer Stresssituation. Und weil wir uns auf die Inhalte fokussieren und dem Small Talk wenig Raum einräumen, geht sehr viel Zwischenmenschliches verloren. Aber nicht nur der zugenommene Informationsgehalt ist eine Herausforderung. Auch verschwindet immer mehr unsere Work-Life-Balance, da wir durch das Home-Office alle permanent im Office sind.
Frauen haben etwas zu sagen, sie müssen allerdings den Raum erhalten, das auch zu tun! Diesen bieten wir mit unserem Format DIE CHEFIN-TALK.
Hier laden wir Frauen ein, mit uns über ihr Thema zu sprechen.
Wir sind der Wandel: Was können wir tun?
Gerstbach: Jeder sollte sich bewusst neue Rituale schaffen, um sich selbst zu schützen. So können wir uns zum Beispiel nach Meetings Zeit im Kalender blocken, um die Meeting-Inhalte anschließend in Ruhe aufnehmen und unsere Aufgaben konzentriert abarbeiten zu können. Besser noch wäre, wenn die, die für die Organisation eines Meetings verantwortlich sind, darauf achten, dass alle vorher sowie hinterher eine kleine Pause von 15 Minuten haben. So hat jeder die Chance, durchatmen und sich erholen zu können.
Wir sind der Wandel: Wie können Führungskräfte unterstützen?
Gerstbach: Viele Führungskräfte haben zu Beginn der Pandemie das Gefühl gehabt, die Kontrolle zu verlieren, denn ihre Aufgaben veränderten sich ad hoc: Statt Probleme zu lösen, waren sie plötzlich dafür verantwortlich, das Vertrauen zu ihren Mitarbeitenden zu stärken. Und sie trotz des räumlichen Abstands und der Online-Meeting-Müdigkeit weiter zur Leistung zu motivieren. Um nicht den Kontakt zu ihren Mitarbeitenden zu verlieren, sollten Führungskräfte daher unbedingt auf die Stimmung im Team achten: Wie geht es meinen Beschäftigten? Gibt es Anzeichen dafür, dass es Probleme im Team, mit Aufgaben oder im Privatleben gibt? Wichtig ist, permanent im Gespräch zu bleiben.
„Die ersten 30 Sekunden eines Online-Meetings sind enorm wichtig“
Wir sind der Wandel: Wen belastet die aktuelle Situation mehr, den Introvertierten oder den Extrovertierten?
Gerstbach: Die Gruppendynamik nimmt bei Online-Formaten generell ab. Daher tun sich introvertierte Personen hier prinzipiell leichter. Sie kommen mit Home-Office und Online-Meetings besser zurecht. Aber: introvertiert ist nicht schüchtern. Introvertierte Menschen konzentrieren sich stärker auf ihr Innenleben, sind eher passive Beobachter. Sie agieren also eher still, zurückhaltend und ruhig. Extrovertierte Menschen hingegen werden online ausgebremst. Sie haben nicht den großen Auftritt und können nicht laut dazwischenrufen. Sie leiden unter der aktuellen Situation am meisten.
Wir sind der Wandel: Was kann man tun, um alle „bei Laune zu halten“?
Gerstbach: Die ersten 30 Sekunden eines Online-Meetings sind enorm wichtig, denn sie vermitteln den Teilnehmenden, ob eine Beschallung von Inhalten folgt – ich mich also zurücklehnen kann –, oder ob ich interaktiv mitarbeiten muss. Damit Teilnehmende von Anfang an aufmerksam sind, ist es also wichtig, innerhalb dieser Zeitspanne alle in eine Interaktion zu bringen. Ich kann zum Start des Meetings alle auffordern, die eigene Stimmung mit einem Emoji darzustellen. Oder ich starte mit einer Umfrage: Wie ist der Wissensstand der Teilnehmenden zum Meeting-Thema? Oder wie ist allgemein der Stand der Dinge? Wer hingegen mit einem Monolog startet, muss damit rechnen, dass das Gros innerhalb kürzester Zeit abschaltet.
„Icebreaker unterstützen die Gruppendynamik“
Wir sind der Wandel: Wie kann ich die Aufmerksamkeit der Teilnehmenden konkret aufrecht erhalten?
Gerstbach: Bei langen Sitzungen wie Online-Workshops oder bei schwierigen Themen ist es sinnvoll, alle 15 Minuten eine kleine Pause in Form einer Intervention einzulegen. Es gibt zum Beispiel das Spiel „Touch Something Blue“: Jeder muss in seinem Zimmer einen blauen Gegenstand finden und ihn in die Kamera halten. Weil die Teilnehmer dafür aufstehen und kreativ werden müssen, werden sie lockerer und gelangen wieder zu neuer Energie.
Wir sind der Wandel: Steht die Rolle einer Führungskraft mit solchen Spielen nicht in Konflikt?
Gerstbach: Wir haben neulich in unserem Newsletter die Umfrage gestartet, ob Icebreaker eingesetzt werden. Tatsächlich machen das die wenigsten, da sie es als unnötig erachten. Die aber, die darauf setzen, spüren mehr Energie und Motivation in ihren Workshops, denn Icebreaker unterstützen die Gruppendynamik. Es reicht eben nicht aus, nur den Rechner anzuschalten und zu denken, es läuft mit allen Teilnehmenden. Ich gebe Ihnen aber recht, die Rolle einer Führungskraft kann durchaus mit solchen Spielen in Konflikt stehen. Daher empfehle ich den Einsatz von Icebreakern nur, wenn eine externe Person die Rolle übernehmen kann. Funktioniert es nämlich nicht, verliert nicht die Führungskraft ihr Gesicht.