11,5 Stunden Schweiß, Disziplin und Ausdauer zeigen: Eine wirklich motivierende Herausforderung für Führungskräfte (und solche, die es werden möchten) ist ganz sicher eine fordernde Bergtour.
Ich habe eine solche gestern als einzige Frau in einer reinen Männergruppe gemacht und am Sturm auf die Zugspitze, einer Veranstaltung des Motivationstrainers Sergej Linz, teilgenommen. Acht recht sportliche Männer im Alter zwischen Mitte 20 und Ende 30. Und eben meine Wenigkeit.
Die Aufgabe: In nur einem Tag die Zugspitze besteigen und auf den Spuren von Josef Naus und Johann Georg Tauschl wandeln, die am 27. August 1820 erstmals den Gipfel bestiegen. Nichts leichter als das? Keineswegs. Zwar gibt es mehrere Eintagesrouten, die auf den 2.962 Meter und damit höchsten Gipfel Deutschlands führen. Allerdings setzt das einiges an Erfahrung und Können und Klettern voraus. Vor allem aber Kondition, Trittsicherheit und Schwindelfreiheit.
Die einfachste (da fast kein Klettern) und zugleich längste und somit dauerhaft recht angstrengende Route ist die durch das Reintal, die auch die Erstbesteiger nahmen. 21,4 Kilometer ist der Weg lang und vernünftigerweise eher als Zwei-Tages-Tour gedacht. Die Route hält auch eine Last-Exit-Option bereit: Wer kurz unter der Spitze am Sonn-Alpin keine Kraft mehr hat oder einfach zu viel Angst bekommt, kann bequem die Bahn zum Gipfel nehmen. Und spart sich die letzte eine bis zwei Stunden (je nach Kraft) andauernde Tortur über Klettersteige, an steilen Abhängen entlang und über Felsspalten hinweg. Allerdings ist das Gefühl, wenn man dann die vereisten Stufen am Gipfel gesund erreicht hat, einfach unbeschreiblich gut.
Im Kampf gegen die Höhenangst
Eigentlich war das auch mein Plan, das letzte Stück die Bahn nehmen. Sicher ist sicher. Von Höhenangst geplagt bekomme ich schon im Kettenkarussel Angstzustände. Aber man (und auch frau) soll sich ja seinen Ängsten stellen. Und außerdem ist es ja keine richtige Challenge, wenn man seine Grenzen nicht autestet.
Los ging der “Sturm auf Zugspitze” um 4 Uhr morgens in Garmisch-Partenkirchen. Die Ansage: Die ersten 18 Kilometer werden in einem sehr zügigen Tempo gegangen. Denn zwischen 15 und 16 Uhr müssen wir am Gipfel sein, wollen wir die letzte Bahn wieder runter bekommen.
Vom Olympia Skistadion geht es im Finsteren mit Taschenlampen Richtung Partnachklamm. Mich hat die Klamm eher an die sagenumwobene Viamala-Schlucht erinnert. Zerklüftete Schluchten, seit Jahrtausenden durch die Gewalt des Wasser ausgehoben. Die ersten Kilometer ist unser Track übrigens nicht nur sehr zügig gegangen, es hatte eher etwas von Dauerlauf. Und war ein erster Geschmack auf das, was noch folgen würde.
Der Weg durch das Reintal führt durch eine wundervolle Landschaft (© Sergej Linz / Tina Groll).
Die Klamm ist gut 700 Meter lang. Leider hatte ich keine Taschenlampe oder ein Kopflicht dabei, sodass ich mich an meine Begleiter halten musste, die den Weg ausleuchteten. Ein beklemmendes Gefühl, als ich kurz nicht mitkam und im völlig dunklen der Gruppe hinterher hetzte. Am Ende der Klamm wurde es dann langsam heller. Der Weg führt durch das Tal. Leider war es ein völlig bewölkter, grauer Morgen. Kalt und nass. Aber auch bei diesem Wetter hatten die folgenden Kilometer durch das Tal seinen ganz eigenen verwunschenen Reiz. Nicht schlecht staunten wir, als uns ein bestimmt 60-jähriger Wanderer überholte, der mehr rannte als wanderte. Denn schon unser Tempo war mehr als stramm. Durch den Wald auf schmalen Pfaden, höher und immer höher. Und ein Motivationstrainer, der immer und immer wieder zur Eile antrieb. Ich muss zugeben: Die ersten drei Stunden waren für mich sehr sportlich bei diesem Tempo. Und ich hatte meine Zweifel, ob ich die kommenden neun Stunden durchhalten würde.
Wunderschön der Anblick dann gegen sieben Uhr am Morgen als es endlich hell ist und wir an der Quelle an den sieben Sprüngen stehen. Aber keine Zeit zum Innehalten, weiter, weiter. Zum Blauen Gumpen, tiefer in den Wald bis zur romantisch gelegenen Reintalangerhütte. Jetzt war es etwa halb neun und die ersten 1.370 Höhenmeter lagen hinter uns. Hier oben ist es kalt und ich bin dankbar, dass ich eine Snowboardjacke und Handschuhe eingepackt habe.
Auf der Hütte bekommen wir Kaffee, der meine Lebensgeister wieder weckt. Und auch die Müsliriegel wirken wahre Wunder! Die Männer hauen mit deftigen Käsestullen und leckeren Früchtemüsli ordentlich rein. Gestärkt und nach etwa 30 Minuten Pause geht es weiter.
Die Journalistin Tina Groll und der Motivationstrainer Sergej Linz (© Sergej Linz / Tina Groll).
Ab der Reintalangerhütte beginnt allmählich alpines Gebiet. Ab jetzt markieren rote Punkte unseren Weg. Die Baumgrenze ist hier auch erreicht. Trainer Sergej Linz schwört uns auf den Aufstieg ein. Das, was bislang hinter uns liegt, war nur die Aufwärmphase. Und plötzlich passiert etwas mit der Gruppe: Ein junger Mann aus Österreich, der bislang eher hinten geblieben war, scheint regelrecht neue Kraftquellen anzuzapfen. Während er heiter plaudert, sprintet er nach vorn. Von jetzt an geben er und ein Enddreißiger das Tempo an. Der Österreicher nimmt zum dritten Mal am Gipfelsturm teil. Und berichtet detailreich vom letzten Stück zum Gipfel, an einem Drahtseil, über Klettesteige hinweg, unter einem Kreuze, die an Tote erinnern. “Auf keinen Fall mache ich das!”, sage ich entschieden.
Die ersten fallen jetzt langsam zurück. Und auch bei mir passiert etwas: Ich entdecke eine riesige Energie in mir. Diese Tour scheint jetzt wirklich nicht das Problem zu sein, denke ich. Abr mal sehen, was noch kommt! Jetzt regnet es und die Steine sind glitschig. Wer Stöcke hat, freut sich, denn sie geben viel besseren Halt. Es geht vorbei am Partnachursprung über steile Steige. Vom Veitlbrünnl hinauf zur Knorrhütte, wo wir ein frühes Mittagessen einnehmen wollen. Beim Aufstieg bilden sich Grüppchen und Einzeltiere. Vorneweg die beiden Tempo-Männer, wie ich den Österreicher und den Enddreißiger im Geiste nenne, dahinter gibt es immer wieder neue Veränderungen. Im Mittelfeld drei junge Männer aus einer Werbeagentur, die sich gegenseitig im Tempo anspornen. Einer von ihnen fällt allerdings immer weiter zurück. Völlig klar auch: Wer keine Stöcker dabei hat, muss stärker kämpfen. Der Tourführer sprintet mal nach vorne, geht dann teilweise wieder nach unten, um alle in der Gruppe zu motivieren.
Kondition und Kraft sind kein Problem…
Ich merke, wie leicht mir der Aufstieg fällt. Kraft? Kein Problem. Ausdauer? Klar doch. Das Tempo ist angenehm, so kann ich sicher noch viele Stunden laufen. Aber dann wird es richtig steil. Und die Steine sind superrutschig. Meine Höhenangst schlägt durch. Und ich schlage sie mit eigenen Waffen. lautes Schreien und Verfluchen: “Was zur Hölle mache ich hier? Ich könnte jetzt im Hotel Wellness machen!”. Dann lache ich über mich selbst. Es gibt ja eh kein Zurück. Dann gibt es die ersten Stellen, an denen man mehr klettern als wandern muss. Das klappt erstaunlich gut. Schritt für Schritt. Ob ich da vielleicht doch den Aufstieg wagen sollte? Naja, mal sehen, denke ich.
Zwischendurch überlege ich, runterzusehen und Fotos zu machen. Aber dann habe ich Angst um mein Iphone. Und der Blick nach unten erinnert mich daran, wie viel Sorge mir die Höhe bereitet. Glücklicherweise kann ich außer Nebel und Wolken und Regen sowieso kaum etwas sehen.
Ziemlich überrascht bin ich, als ich plötzlich die Knorrhütte entdecke. Ich war auf noch Stunden des Anstiegs eingestellt. Hier kehren wir ein, wärmen uns auf und trocknen unsere Sachen. Die Hütte liegt auf 2.051 Metern Höhe. Es ist jetzt knapp 12 Uhr und acht Stunden liegen hinter uns. Während der Mittagspause sind einige sehr erschöpft. Andere dagegen aufgekratzt. Ich gehöre zu Letzteren. Liegt vielleicht auch an Kaffee und Apfelschorle. Und meinen geliebten Müsliriegeln.
Der Aufstieg zur Knorrhütte ist teilweise steil (© Sergej Linz / Tina Groll).
Was jetzt kommt, macht richtig Spaß. Wir wandern über weite Stein- und Geröllfelder des Zugspitzplatts. Ein paar Stellen sind steiler und herausfordernd. Aber richtig schwer ist nichts davon. Vorbei an Sesselliften stelle ich mir vor, wie schön es hier im Winter zum Skifahren sein muss. Mittlerweile haben sich sie Verhältnisse in der Gruppe leicht verändert. Vorne sind noch immer die Tempo-Männer. Die Jungs aus der Werbeagentur haben sich aufgeteilt. Der Rest besteht aus Einzelkämpfern. Ich bin im vorderen Mittelfeld und finde die Tour richtig klasse. Vor allem bin ich wahnsinnig überrascht, wie stark meine Ausdauer ist. Offenbar sind auch einige Teilnehmer beeindruckt. “Und das als Frau, Respekt!”, sagt mir einer. Zwar mache ich gut 10 Stunden Sport in der Woche und trainiere Taekwondo – allerdings hielt ich mich doch eher im Bereich einer sportlichen Hausfrau. Ich bin beim Laufen nicht sonderlich schnell und Taekwondo trainiere ich in einer reinen Frauenschule. Sportlich gemessen mit Männern habe ich mich das letzte Mal in der Mittelstufe im Sportunterricht.
… aber die Höhenangst schon!
Irgenwann kommt die Seilbahn in Sicht. Und damit stellt sich mir auch die Frage, ob ich weitergehen und das Risiko wagen soll, mich meiner Höhenangst zu stellen oder auf Nummer sicher gehen soll? Der Veranstalter hatte den “Sturm auf die Zugspitze” als Herausforderung bezeichnet und davon gesprochen, dass jeder einzelne an seine persönliche Grenze kommen würde. Bislang habe ich die noch nicht gesehen. Ich hole die beiden Tempo-Männer ein, dann folgt Motivationstrainer Sergej im Schlepptau noch einen aus der Werbeagentur. Die anderen hat Sergej schon zur Bahn geschickt. Der junge Österreicher sagt: “Wenn Du Dich einmal entschieden hast, raufzugehen, dann gehst Du auch rauf.” Es ist jetzt knapp halb drei am Nachmittag. Um 16:30 Uhr geht die letzte Bahn ins Tal. Genug Zeit, um nach oben zu kommen.
Der Aufstieg ist gut zu handeln (© Sergej Linz / Tina Groll).
Umkehren ist für mich jetzt keine Option mehr. Und auch nicht, es nicht zu versuchen. Allerdings sehe ich zwei Hütten am Sonn-Alpin. Eine, von der aus die Gondeln gehen. Und etwas höher, eine über ein steiles Geröllfeld gelegene Station. Irrigerweise nehme ich an, dass die höher gelegene Station die Last-Exit-Option wäre. Mittlerweile meldet sich auch mein Magen. Bis auf Müsliriegeln habe ich nicht viel gegessen. Und auch hätte ich gerne noch etwas getrunken, weil die Höhe mir ganz leichte Kopfschmerzen macht. Hier oben liegt alles voller Schnee und Eis. Jeder Schritt ist schwer und kommt mir ungeheuer gefährlich vor. Wie sollen die anderen das nur schaffen, zur Hütte hochzukommen, wenn die jetzt schon nicht mehr können, frage ich mich? Nein, nein, sagt der Veranstalter. Wir sind bereits auf dem letzten Weg. “Schau, ab da vorne musst Du klettern!”.
Ohne Essen und Trinken muss ich mich jetzt also der Herausforderung stellen. Das Geröllfeld ist viel zu steil und vereist, um hier wieder runterzuklettern. Blöderweise sieht das, was kommt, noch viel schlimmer aus. Über glitschig-vereiste Stellen an einem nassen Drahtseil, an dem meine Handschuh keinerlei Griff haben, die Felswand hochklettern. Nur wenige Zentimeter Platz und sonst nur Abgrund. Wobei: So viel Abgrund sehe ich glücklicherweise nicht, denn es ist viel zu nebelig. Eisigkalter Wind weht mir um die Ohren. Es regnet, nein, schneit. Und jetzt? “Ich schaffe das nicht!”, fange ich an zu jammern. “Klar schaffst Du das. Und sieh mal: Da ist kaum Abgrund. Und außerdem willst Du ja überleben, deswegen hat Dein Körper genug Kraft, Dich trotzdem am Drahtseil festzuhalten”, sagt der Trainer. Überleben? Was mache ich hier eigentlich? Das Argument, dass der Abgrund immerhin noch einige Zentimeter Steine bereithält, ehe man in die Tiefe stürzen könnte, überzeugt mich dann komischerweise. Und auch, dass der Trainer hinter mir ist. Und meinen Rucksack abnimmt. (Seinen hatte er schon den anderen mitgegeben.) Vor mir ist jetzt noch ein Teilnehmer, der ohne Stöcke geht und bei jedem Schritt seine Angst und Erschöpfung überwinden muss. Auch er hat seinen Rucksack schon den anderen mitgegeben, um es leichter zu haben. Die beiden Tempo-Männer sind noch weiter vorne.
Und dann ist es geschafft!
Irgendwann habe ich mich an das Klettern gewöhnt. Jetzt sind wir recht schnell. Vor uns stockt es aber: Eine Gruppe Studenten kommt nicht mehr weiter. Zu erschöpft, zu viel Abenteuer. “Ich packe das nicht”, sagt einer, bei dem offenbar das Knie streikt. Wenn wir die letzte Bahn rechtigzeitig vom Gipfel zurücknehmen wollen, müssen diese Typen sich jetzt aber trotzdem bewegen! Denn zum Überholen reicht der Platz auf dem Kamm einfach nicht. Also reden wir auf die Jungs ein. Und sie setzen sich in Marsch. Irgendwo auf dem Kamm, wo zwei morsche Bänke sich gegen Sturm, Eis und Nebel aufrichten, können wir an den Jungs vorbeiziehen. Mein Vordermann hat zu kämpfen. “Es ist nicht mehr lange. Gleich sind wir da!”, sage ich zu ihm. Und glaube es, auch wenn der Blick zurück ins Gesicht des Trainers mir sagt, dass wir noch ein gutes Stück vor uns haben. Irgendwann entdecken wir Flutlichter am Hang. “Gleich sind wir da!”, sagen wir, um uns zu motivieren. Die Kraft und Ausdauer reichen jetzt immer noch ganz gut. Nur immer wieder neue Klettersteige und fiese Felsabgründe haben es in sich. Und diese Gedenktafeln für die Toten. An einer kommen wir vorbei, die ich genauer betrachte. Ein junger Mann, Jahrgang 1975, ist 2002 hier ums Leben gekommen. Das demoralisiert ganz schön. Ich entschließe mich, das zu ignorieren und sage meinem entsetzten Vordermann, dass er das am Besten auch tun sollte. Schließlich läuft er ohne Stöcker. Und dann, ganz plötzlich, ragen da völlig vereiste Stufen aus dem Fels. Sie haben es in sich – aber mit der letzten Stufe stehen wir wieder mitten in der Zivilisation und auf dem Gipfel. Gleich neben dem Gipfelkreuz gibt es ein Sterne-Hotel. Zeit für Champagner!
Die beiden Tempo-Männer sind auch schon da. Etwa 20 Minuten vor uns angekommen. Und die anderen noch länger. Sie haben in Ruhe Kaffee getrunken. Alle sind zufrieden und erschöpft. Und jeder sagt, er sei an sein persönliches Limit gekommen. Wer die letzten 300 Höhenmeter Aufstieg nicht gemacht hat, ist aber nicht enttäuscht. Vielmehr zufrieden, eine vernünftige und erwachsene Entscheidung im Sinne seiner Gesundheit getroffen zu haben.
Und ich? Ich bin zufrieden. Und auch ein bisschen stolz. Und dankbar für die Erfahrung des Kräftemessens. Eine wichtige Kompetenz auch für Führungskräfte: Spaß am Wettbewerb, Spaß an Herausforderungen, Spaß daran, sich selbst zu Höchstleistungen anzutreiben. Früher habe ich das gehasst, heute mag ich es. Die Erfahrung, in nicht mal 12 Stunden zum Gipfel gekommen zu sein, stärkt. Den Sturm auf den Gipfel kann ich also gesunden und fitten Führungskräften nur empfehlen. Im nächsten Jahr wird Linz wieder eine Tour anbieten.
Ein schöner motivierender Beitrag !
… und ein schöner Satz – “Umkehren ist für mich jetzt keine Option mehr”