Expert:innen fordern dringende Maßnahmen zur Bekämpfung sozialer Ungleichheit im Gesundheitswesen. Im Fokus steht das “Gesundes-Herz-Gesetz” des Bundesgesundheitsministeriums.
Deutschland erzielt trotz hoher Ausgaben im Gesundheitssystem nur durchschnittliche Ergebnisse bei der Lebenserwartung und der Anzahl gesunder Lebensjahre. In vielen westeuropäischen Ländern ist die Lebenserwartung höher, obwohl die Ausgaben geringer sind. Menschen mit niedrigem Einkommen, geringer Bildung und unsicherer beruflichen Position sind in Deutschland deutlich häufiger von chronischen Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen betroffen als privilegiertere Menschen. „Prävention und Gesundheitsförderung erhalten in unserem Gesundheitssystem und in der gesamten Gesellschaft nicht die Bedeutung, die angemessen und notwendig wäre. Das muss sich ändern“, sagt Sabine Deutscher, Vorstandsmitglied der AOK Rheinland/Hamburg. Die Gesundheitskasse fordert einen kulturellen und gesamtgesellschaftlichen Aufbruch. Dieser könne jedoch nur gelingen, wenn Prävention und Gesundheitsförderung in alle Handlungsfelder der Politik Eingang finden und jenseits von Ressortgrenzen in den Mittelpunkt politischen Handelns gestellt werden. Besonders großes Potenzial sieht die AOK Rheinland/Hamburg in der Verhältnisprävention, die die Gesundheit in den Lebenswelten und sozialen Umfeldern der Menschen fördert.
Mehr Gerechtigkeit bei den Gesundheitschancen erzielen
„Ein erfolgversprechender Weg, den Auswirkungen sozialer Ungleichheit auf die Gesundheit entgegenzusteuern, sind Prävention und Gesundheitsförderung in Kitas, Schulen, Betrieben und Quartieren“, so Deutscher. „Wir müssen die Menschen dort erreichen, wo sie leben. Wenn es gelingt, ein flächendeckendes Netz leicht zugänglicher Angebote zu etablieren, die ineinandergreifen, aufeinander abgestimmt sind und so zu einem gesundheitsförderlichen Alltag beitragen, dann ist viel geschafft.“ Denn nur, wenn Risikofaktoren für chronische Erkrankungen für alle verringert würden, ließe sich mehr Gerechtigkeit bei den Gesundheitschancen erzielen.
Maßgebliche Akteure für den Aufbau von Strukturen für Prävention und Gesundheitsförderung sind Sportvereine, die einen wichtigen Beitrag zur Gesunderhaltung der Bevölkerung leisten. Die im „Gesundes-Herz-Gesetz“ vorgesehene Umwidmung von Geldern für die individuelle Prävention gefährdet die Unterstützung von Vereinen durch die gesetzlichen Krankenkassen und schädigt vorhandene Vereinsstrukturen massiv. Die Krankenkassen fordern die Politik auf, ressortübergreifend zu agieren, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und finanzielle Mittel, die für die Primärprävention vorgesehen sind, auch tatsächlich für Maßnahmen zur Förderung von Bewegung und Ernährung sowie gegen Stress und Sucht zu verwenden.
Gesundheitsvorsorge ist eine Kernaufgabe der gesetzlichen Krankenkassen
Das Positionspapier fasst den aktuellen Forschungs- und Handlungsbedarf in der Prävention und Gesundheitsförderung zusammen. Zentrale Forderungen der Expert:innen aus der Wissenschaft sind ein politisch stimmiges Gesamtkonzept, der Ausbau der Forschung sowie eine deutliche Erhöhung der finanziellen Mittel, um die zukünftigen sozialen und sozioökonomischen Herausforderungen zu bewältigen.
- Burnout: Die Rolle der gesetzlichen Krankenkassen
- Herzbalance statt verstaubter Prävention
- Digitale Gesundheitsversorgung: Hohe Akzeptanz, geringe Nutzung
Gesundheitsvorsorge ist eine Kernaufgabe der gesetzlichen Krankenkassen. Im Jahr 2023 förderten die gesetzlichen Krankenkassen Präventionsmaßnahmen in den Lebenswelten bundesweit mit 436 Millionen Euro, das sind fast 70 Prozent der Gelder für die gesamte Primärprävention, die darauf ausgerichtet ist, Krankheiten zu verhindern, bevor sie entstehen. Weitere 195 Millionen Euro (rund 30 Prozent) flossen in Maßnahmen der individuellen Prävention, die Menschen dabei unterstützen, ihr Leben gesundheitsbewusst zu gestalten.
Bei der AOK Rheinland/Hamburg verteilten sich die Gelder im Jahr 2023 auf gut 20 Millionen Euro in den Lebenswelten (87 Prozent der Präventionsausgaben) und knapp 3 Millionen Euro (13 Prozent) in der individuellen verhaltensbezogenen Prävention.