Covid als Berufskrankheit oder Arbeitsunfall kaum anerkannt

Covid-19- Schriftzug

Die Zahl der angezeigten Berufskrankheiten ist seit der Pandemie stark gestiegen. Dennoch werden vergleichsweise wenig Covid-Fälle als Berufskrankheit oder Arbeitsunfall anerkannt.

Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken hervor. Demnach haben Zehntausende Beschäftigte allein bis Ende April 2021 eine Infektion mit dem Corona-Virus als Berufskrankheit gemeldet – 119.675 Anzeigen auf Verdacht von Covid-19 als Berufskrankheit gingen bei der gesetzlichen Unfallversicherung ein. Aber nur 71.232 Fälle davon wurden anerkannt. Dies entspricht einer Anerkennungsquote von knapp 60 Prozent. Zum Vergleich: insgesamt gab es im gleichen Zeitraum  mehr als 3,7 Millionen registrierten Infektionsfälle in Deutschland.

Es erscheint kaum zu glauben, dass sich nur so wenige Menschen im Job angesteckt haben sollen. Die Erklärung, warum eine Ansteckung im Beruf so selten anerkannt wird, liegt im Problem mit der Anerkennung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten generell. Im Schnitt wird nur ein Viertel aller gemeldeten Fälle anerkannt. Arbeitsmediziner gehen davon aus, dass viele Betroffene wegen der schlechten Chancen ein Verfahren daher gar nicht erst anstreben. Die Berufskrankheitenverordnung listet ohnehin nur 80 Krankheitsbilder auf. Dazu zählen zwar auch Infektionskrankheiten, worunter Covid-19 fällt, die Rechtslage ist aber schwierig. Bisher nennt das Gesetz explizit nur Beschäftigte des Gesundheitswesens, der Wohlfahrtspflege und von Laboratorien, für die eine Anerkennung der Covid-Erkrankung überhaupt infrage kommt. Wer einen anderen Job hat und sich zum Beispiel im Großraumbüro angesteckt hat, strebt oft gar nicht erst eine Anerkennung an – es macht einfach keinen Sinn. Denn die Beweisführung ist sehr schwer. Die Betroffenen müssen belegen können, dass ihre Krankheit auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen ist und die Ursache nicht etwa im Privatleben liegt.

Berufskrankheit oder Arbeitsunfall?

Irrtümer und Mythen rund ums ArbeitsrechtDas Nachsehen haben also viele Beschäftigte. Denn nur wenn eine Krankheit als Berufskrankheit (oder als Arbeitsunfall) anerkannt ist, sind auch alle anderen Folgen – wie etwa Long Covid – abgedeckt. Und so erstaunt es nicht, dass es bislang die meisten Anzeigen bei der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege gab: 83.398 Fälle wurden hier gemeldet, 52.748 davon anerkannt – das sind mehr als 63,25 Prozent.

Viele Infektionen kamen jedoch nicht im Gesundheitsdienst und in der Pflege vor, sondern in anderen Branchen – etwa in der Landwirtschaft bei Erntehelferinnen und Erntehelfern oder in Schlachtbetrieben. Für diese Betroffenen kommt eher eine Anzeige als Arbeitsunfall infrage. Der zweite Weg, die Kosten einer Corona-Erkrankung im Job über eine gesetzliche Versicherung geltend zu machen. Damit eine Covid-Erkrankung als Arbeitsunfall infrage kommt, muss nachweislich ein Kontakt zu einer sogenannten Indexperson im beruflichen Umfeld stattgefunden haben. Es müssen also viele Ansteckungen zeitgleich im Betrieb stattgefunden haben.

Insgesamt wurden bis Ende April 2021 aber nur 20.392 Fälle von Covid-19 als Arbeitsunfall gemeldet. Und lediglich 6.107 Fälle anerkannt – das sind keine 30 Prozent. Die meisten Anzeigen gab es außer bei den Unfallversicherungsträgern der öffentlichen Hand bei der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe (BGN), die zum Beispiel auch für die Beschäftigten in der Fleischindustrie zuständig ist. Während bei ersteren mehr als 45 Prozent der Fälle anerkannt wurden, waren es bei der BGN lediglich 705 von 5.004 Fällen – gerade einmal 14 Prozent.

Mehr Informationen im SPIEGEL-Bestseller:

Cover Was Chefs nicht dürfen (und was doch)

 

Was Chefs nicht dürfen – und was doch
von Sabine Hockling und Ulf Weigelt
Ullstein Verlag (1. Auflage, Juni 2017)
9,99 Euro (D)
ISBN 978-3-548-37694-3

 


Wir übernehmen keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Rechtsinhalte. Insbesondere ersetzten die Beiträge grundsätzlich nicht eine fachkundige Rechtsberatung.


 

Wir sind der Wandel-Newsletter

Tina Groll

Tina Groll arbeitet hauptberuflich als Redakteurin bei ZEIT ONLINE im Ressort Politik & Wirtschaft. 2008 zeichnete sie das Medium Magazin als eine der “Top 30 Journalisten unter 30 Jahren“ aus. Sie ist Mitglied im Deutschen Presserat sowie als Vorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union tätig. Als Autorin von WIR SIND DER WANDEL beschäftigt sie sich mit der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Gesundheitspolitik.