Digitale Ökonomie: Wie die Herausforderungen kulturell bewältigen?

Gerader Pfeil ändert Richtung

Viele Manager unterschreiben zwar die Notwendigkeit, die Herausforderungen der Digitalisierung anzugehen, schrecken aber gleichzeitig vor den Konsequenzen zurück. Dabei ist es kein Hexenwerk, die Herausforderungen der digitalen Ökonomie zu bewältigen.

Ein Gastbeitrag von Dr. Martina Nieswandt

Es gibt fortschrittliche Unternehmen, die denken darüber nach, einen Chief Digital Officer (CDO) im Topmanagement zu etablieren – oder sie haben das bereits getan. Andere Firmen haben einen Digital Innovation Officer (DIO) auf Vorstandsebene installiert. Ganz gleich, wie man den Posten nennt, die Anforderungen an einen solchen Manager dürfen nicht ausschließlich an technisches und betriebswirtschaftliches Know-how gekoppelt sein. Es braucht hier Menschen, die vielfältige Erfahrungen mit glaubwürdigen Transformationsprozessen haben. Erfahrungen mit echter Beteiligung und die Bereitschaft, diese zu fördern und zu fordern. Denn Digitalisierung ist ein kultureller Trend und kann als solcher genauso wenig von einer einzelnen Führungskraft „gemanagt“ werden wie Innovation.

In den vergangenen Jahren wurden in Organisationen viele Change-Projekte zum Thema „Beteiligung“ durchgeführt. Was sich erst einmal gut anhört, waren in Wahrheit aber häufig reine Pseudo-Veranstaltungen, die am Ende nur zum Geldverbrennen gut waren. Stefan Kühl beispielsweise berichtet in Organisation und Intervention, dass viele Projekte am Ende gar nicht auf ihre Wirksamkeit überprüft werden. Und 90 Prozent der Verantwortlichen interessiert das noch nicht einmal.

Weg von der Anweisungshierarchie hin zur Verantwortungshierarchie

Change Management ist heute als Metapher für erfolgreiche Transformationen längst verbraucht. Transformationen, die Dr. Roland Geschwill und Dr. Martina Nieswandt als Laterales Management bezeichnen, funktionieren nur mit einem glaubwürdigen Topmanagement und einer echten Beteiligung der Menschen in Projekten, Workshops und im Unternehmensalltag.

Die Topmanager müssen die Trias Führen, Entscheiden und Zusammenarbeiten wirklich neu justieren wollen und vorleben: weg von der Anweisungshierarchie hin zur Verantwortungshierarchie. Das ist in etablierten Unternehmen allerdings ein mehrjähriges Projekt. Es gilt, eine Zielprojektion zu entwickeln, die Lateralität und Kultur definiert: Was bedeutet Lateralität? Und in welchen Feldern soll laterales Management künftig greifen? Im Management, bei Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten usw.? Dabei hängt die Beantwortung dieser Fragen von Reifegrad des Managements und dem jeweiligen Geschäftsmodell ab.

Top-down starten

Bei den von Geschwill und Nieswandt beschriebenen „fünf Unternehmen mit Vorbildfunktion“ – der AOK Baden Württemberg, Bahlsen, dm-Märkte, Procter & Gamble und der RAG AG – haben die jeweiligen Topmanagement-Boards entschieden, die Organisation kulturell grundlegend zu verändern. Dabei spielte es auch keine Rolle, dass ihre Geschäfts- und Organisationsmodelle ganz unterschiedlich sind. Selbstverantwortliche Strukturen top-down einführen, das ist eine Paradoxie, wie sie Tom Peters lieben würde. In etablierten Organisationen wird die Einführung aber kaum anders funktionieren. Selbst bei Bahlsen, wo das obere und mittlere Management die Umstrukturierung in die Hand nahmen, brauchte es einen Werner Bahlsen, der das akzeptierte und aktiv unterstützte.

Alle fünf Unternehmen haben gemeinsam, dass sie auch deswegen heute noch funktionieren, weil die Kulturveränderung top-down eingeführt wurde und die Leitung bei der Umsetzung des Konzepts sofort mit gutem Beispiel vorangegangen ist. Denn das mittlere Management lässt sich nur dann auf mehr Selbstverantwortung ein und kann zum Katalysator von Kulturveränderung werden, wenn die Unternehmensspitze den Neuanfang vorlebt und wirklich glaubwürdig loslässt. Dabei meint loslassen, tatsächlich Verantwortung zu übertragen und sich nur noch um die wichtigen strategischen Entscheidungen zu kümmern.

Für eine Kulturveränderung braucht es alle relevanten Verantwortlichen

Bei dem ersten lateralen Projekt von Geschwill und Nieswandt sollten die Top 50 der Organisation in lateralem Management geschult werden. Heute wissen die beiden, dass das nur durchsetzbar ist, wenn die erste Unternehmensebene das auch verpflichtend anordnet. Doch damals hatten sie in Diskussionsrunden zunächst Skrupel, die Einführung einer neuen Organisationsform, die auf mehr Freiheit und Selbstverantwortung abzielt, mit einer Seminar-Teilnahmepflicht der ersten Unternehmensebene zu starten. Doch die internen Manager im Team überzeugte das Duo nach einer Weile, dass es ohne Verpflichtung nicht funktionieren würde. Denn es wären wieder nur die üblichen Seminarjunkies in die Veranstaltungen gekommen oder die ohnehin bereits Überzeugten. Die Manager mit einer begrenzten Begeisterung für die Beschäftigung mit Führungsthemen aber hätten Geschwill und Nieswandt nie gesehen. Für eine Kulturveränderung braucht es aber den Diskurs mit allen relevanten Verantwortlichen. Auch das war wieder eine paradoxe Intervention. Seminare „zum eigenverantwortlichen Führen“ wurden für Topmanager verpflichtend angeordnet.

Kulturveränderungen sind immer Vertrauenssache

Statistisch gesehen stimmt ein Drittel der Manager einer Kulturveränderung zu, ein Drittel wartet ab, und ein weiteres Drittel ist gegen die Neuerung. Es ist aber wichtig, dass der überwiegende Teil des Managements mitmacht. Diskussionen und Kontroversen sind dabei ausdrücklich gewünscht. Wird keine Reibung erzeugt oder herrscht in einer Diskussionsrunde gar Grabesstille, dann setzt die Veränderung falsch an oder sie bewirkt nichts. Jeder aus den drei Gruppen hat dabei seine Rolle, die zum Erfolg der Sache beiträgt, als Treiber, Unterstützer oder konstruktiver Opponent.

Doch ohne ein mutiges Management an der Spitze der Organisation, mit dem ein Projektteam auch kritische Aspekte der Veränderung reflektieren kann, wird ein neuer Managementstil in jedem Unternehmen scheitern. Kulturveränderungen sind immer Vertrauenssache. Vertrauen ist jedoch schwer zu gewinnen und schnell gebrochen. Und Anweisungshierarchien sind Misstrauenskulturen per se. Solche Kulturen sind in vielen Unternehmen die Ausgangsbasis für das Neue. Wenn Topmanager nicht in die Falle des Doppelklippenphänomens geraten wollen – das heißt, wenn es ihnen nicht gelingt, die zweite und dritte Managementebene von den anstehenden Kulturveränderungen zu überzeugen –, dann werden sie scheitern. Denn laterales Management steht und fällt mit einem glaubwürdigen Topmanagement.

Rollen von Managern in Kulturveränderungsprojekten

Klaus Doppler, der Doyen des klassischen Change Managements in Deutschland, benennt drei wichtige Rollen von Managern in Projekten, die es für den Erfolg braucht.

Treiber: Manager, die laterales Management mit Ideen, Konzepten und Innovationen voranbringen. Diese Menschen sind in der Regel vom lateralen Management überzeugt und entwickeln immer wieder neue Ideen, um die neue Kultur durchzusetzen.

Unterstützer: Manager, die für das Projekt werben und andere von der Wichtigkeit des Projekts überzeugen. In unterschiedlichen Managementforen bringen sie die neuen Themen ein und streiten für die Umsetzung. Unterstützer sind die Marketingexperten eines Kulturprojektes.

Konstruktive Opponenten: Kein Projektteam ist allwissend. Kein Projektplan ist heilig. Konstruktive Opponenten kritisieren Projektideen und treiben mit ihrer Kritik die Projektleitung zu Höchstleistungen. Diese Menschen sind äußerst wichtig für einen Diskurs. Gelingt es, diese Gruppe zu überzeugen, dann gelingt es in der Regel, eine Kulturveränderung durchzusetzen. Konstruktive Opponenten haben es in Organisationen häufig schwer, Akzeptanz zu finden. Häufig werden ihre Anmerkungen als gestrig oder widerständig konnotiert. Diese Bewahrer sind jedoch oft im Unternehmen gut vernetzt und kluge Sensoren für Risiken von Kulturveränderungen. Bei Procter & Gamble wurden mit diesen Menschen bei der Etablierung von selbststeuernden Teams besonders gute Erfahrungen gemacht – wenn es gelang, diese Gruppe zu überzeugen.

Die Ratgeber-Redaktion

Unter der Autor:innen-Bezeichnung REDAKTION veröffentlichten DIE RATGEBER von 2010 bis 2020 Gastbeiträge sowie Agenturmeldungen. Im August 2020 gingen die Inhalte von DIE RATGEBER auf die Webseite WIR SIND DER WANDEL über.