Damit haben wohl wenige in der Fachwelt gerechnet: Die Harvard-Professorin Claudia Goldin wird mit der höchsten Auszeichnung für Wirtschaftswissenschaften geehrt.
Und mit ihr erhält die genderspezifische Arbeitsmarkt- und Ungleichheitsforschung Aufmerksamkeit. Denn Goldin hat wie kaum eine andere die Rolle der Frau auf dem Arbeitsmarkt untersucht und echte Grundlagenforschung betrieben, um die ökonomische Ungleichheit von Männern und Frauen zu erklären.
Goldins Forschung habe die Ursachen des Wandels der Geschlechterrollen am Arbeitsmarkt “sowie die Hauptursachen für die verbleibenden geschlechtsspezifischen Unterschiede” aufgezeigt, erklärte das Nobelkomitee in Stockholm. Die Harvard-Professorin ist die dritte Frau, die diese Auszeichnung erhält. Und erst die zweite Ökonomin, die den Wirtschaftsnobelpreis allein erhält. Erstmals gewann mit Elinor Ostrom 2009 eine Frau, 2019 folgte Esther Duflo. Im vergangenen Jahr hatten drei US-Forscher die Auszeichnung für ihre Arbeiten zu Finanzkrisen und der Rolle der Banken erhalten, darunter der ehemalige Chef der US-Zentralbank, Ben Bernanke.
Goldin, die Detektivin
Goldin habe “die Archive durchforstet und über 200 Jahre an Daten aus den USA gesammelt”, erklärte die Jury weiter. “Sie hat etwas untersucht, was viele Menschen, zum Beispiel viele Historiker, vorher einfach nicht untersucht haben, weil sie nicht glaubten, dass diese Daten existieren”, so Randi Hjalmarsson, Mitglied des Nobelkomitees – und nannte die Ökonomin eine Detektivin.
Ein Ergebnis sei die Feststellung, dass sich trotz der Modernisierung, gekoppelt mit Wirtschaftswachstum und einem steigenden Anteil von Frauen auf dem Arbeitsmarkt, die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen lange Zeit kaum verringerten. Goldin kam zu dem Schluss, dass neben verschiedenen einzelnen Faktoren, die in Zusammenhang mit den ökonomischen Voraussetzungen in einem Land stehen, auch vor allem Entscheidungen über den Bildungsweg sowie die Berufswahl die Hauptgründe dafür sind, dass der Gender Pay Gap nicht kleiner wird.
Verantwortlich sind das gesellschaftliche Klima, Rollenbilder und Geschlechterstereotype
Diese Entscheidungen werden in sehr jungen Jahren getroffen – und selbst in einem durchlässigen Berufsbildungssystem reduzieren sie oft die Möglichkeiten für einen Aufstieg. Zugleich spielt das gesellschaftliche Klima eine Rolle sowie Geschlechterstereotype und Rollenbilder, die Mädchen vermittelt werden. Wenn junge Frauen sich an ihren eigenen Müttern orientierten, die eventuell erst nach dem Erwachsenwerden ihrer Kinder wieder arbeiteten, gebe es nur langsamen Fortschritt in diesem Bereich, argumentiert die Ökonomin.
Der Wirtschaftsnobelpreis geht im Gegensatz zu den anderen Preisen nicht direkt auf das Testament des Preisstifters Alfred Nobel zurück. Er wurde 1968 von der Schwedischen Reichsbank in Gedenken an Alfred Nobel ins Leben gerufen und wird seit 1969 verliehen. Er ist mit elf Millionen schwedischen Kronen (920.000 Euro) dotiert. Die Wirtschaftsauszeichnung ist nach wie vor die Nobelpreiskategorie mit den wenigsten weiblichen Ausgezeichneten.