Der Arbeitsmarkt brummt

Personen als Comic-Zeichnungen

Wer glaubt, Flüchtlinge seien eine Belastung für die deutsche Wirtschaft und den Arbeitsmarkt, hat offenbar schon länger nicht mehr in die Arbeitsmarktdaten geschaut. Diese zeigen nämlich: Das Beschäftigungswachstum in Deutschland ist mittlerweile vollständig auf die Beschäftigung von ausländischen Staatsangehörigen (insbesondere Drittstaaten) zurückzuführen.

Fast 35 Millionen Menschen waren zuletzt sozialversicherungspflichtig beschäftigt – ein Plus von mehr als 370.000 und 1,1 Prozentpunkten. Auch die Arbeitslosigkeit in Deutschland ist zuletzt wieder leicht gesunken. Und dann gab es sogar noch einige Zehntausend Erwerbstätige mehr als im Monat davor. Die Zahlen, die Andrea Nahles, Chefin der Bundesagentur für Arbeit (BA), zuletzt präsentierte, machen Mut. Der Arbeitsmarkt in Deutschland steht robust da. Ein Aspekt wird dabei allerdings weniger betont. Dabei ist dieser ganz zentral, wenn es um die Debatte über die richtige Flüchtlingspolitik geht: Ohne Zuwanderung, und vor allem ohne Flüchtlinge, wäre die Beschäftigung in Deutschland insgesamt rückläufig.

So waren im Februar zwar fast 29,5 Millionen Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung tätig. Vor allem aber wegen der Demografie (sowie anderen Faktoren wie zum Beispiel die Abwanderung von Deutschen ins Ausland) werden es Monat für Monat weniger. Im Vergleich mit dem Vorjahr schieden fast 33.000 Deutsche aus, was einen Rückgang der Beschäftigungsquote von 0,1 Prozent ausmacht. Das mag wenig klingen. aber der Generationenabriss auf dem Arbeitsmarkt mit dem Renteneintritt der Boomer-Generation beginnt ja erst. Und bereits seit einigen Jahren scheiden mehr Alte aus dem Erwerbsleben aus, als Jüngere überhaupt nachkommen. Kein Wunder also, dass sich die Zeiten auf dem Arbeitsmarkt so stark verändert haben. Das Schrumpfen der Zahl der deutschen Arbeitskräfte auf dem Jobmarkt läppert sich also und gefährdet Wohlstand, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Hinzu kommt: Schon jetzt ist der Arbeitskräftemangel in vielen Berufen groß, in einigen Branchen sogar flächendeckend – etwa in der Pflege, in den Bereichen Erziehung und Sozialarbeit oder im Handwerk. Das heißt, die Arbeitsmarktpolitik muss Weichen stellen muss, um mittelfristig ein Funktionieren des Arbeitsmarktes sicherzustellen.

Viele Flüchtlinge finden den Weg auf den Arbeitsmarkt

Zum Glück ist Deutschland aber trotz vieler Hürden bei der Sprache und Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse attraktiv für Menschen aus dem Ausland. Auch suchen viele Menschen, die aus ihren Ländern fliehen müssen, in der Bundesrepublik Schutz und ein besseres Leben. Sie füllen die Lücken am Arbeitsmarkt, sogar dann, wenn sie formal keine nennenswerten Sprachkenntnisse oder von den deutschen Behörden anerkannte berufliche Abschlüsse mitbringen. Allein der Bedarf an Ungelernten und Angelernten auf dem Arbeitsmarkt wäre Arbeitsmarktforschenden zufolge aus deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern nicht zu decken. Insgesamt waren zuletzt fast 5,2 Millionen Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt, das ist ein Zuwachs von fast 405.000 Erwerbspersonen oder 8,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Schaut man nur auf Personen aus sogenannten Drittstaaten ist der Zuwachs sogar noch größer und liegt bei 12,5 Prozent bzw. fast 300.000 Erwerbstätigen.

Cover für Überall, nur nicht im BüroFlüchtlinge aus der Ukraine spielen bei diesen Daten fast noch keine Rolle, da sie erst seit wenigen Monaten überhaupt in den Zuständigkeitsbereich der Jobcenter oder Arbeitsagenturen fallen und die BA daher nur wenige abschließende Zahlen hat. Klar ist aber bereits: Viele Ukrainerinnen und Ukrainer – denn es kommen auch immer mehr Männer aus dem von Russland überfallenen Land nach Deutschland – sind hoch motiviert, rasch in den Arbeitsmarkt integriert zu werden. Zudem sind viele gerade in Sprach- und Integrationskursen, allein im Januar waren es mehr als 135.000. Weitere besuchen Programme, um ihre Berufsausbildung anerkennen zu lassen. Mehrere Zehntausend gehen gerade einer schulischen, beruflichen oder universitären Ausbildung nach. Die Bundesagentur für Arbeit erwartet, dass sich die Menschen aus der Ukraine sehr schnell und sehr viel einfacher in den Arbeitsmarkt integrieren als Menschen, die aus den typischen Asylherkunftsländern kommen. Aber selbst bei diesen Personen gelingt die Intergration, wie eine Auswertung des Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt. Das hat untersucht, wie die Geflüchteten, die zwischen 2013 und 2016 nach Deutschland gekommen sind, ihren Weg in Arbeit gefunden haben.

Im Fokus der Untersuchung standen für das IAB acht Länder, die auch in der Statistik der BA als sogenannte Asylherkunftsländer gewertet werden. Das sind Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien. Aus diesen acht Ländern kam in den vergangenen Jahren bis zum Angriff von Russland auf die Ukraine die überwiegende Mehrheit der Geflüchteten in Deutschland im erwerbsfähigen Alter. Besonders viele Menschen kamen 2015. Und die sind mittlerweile zum großen Teil gut in den Arbeitsmarkt integriert, wie die Daten der BA zeigen. Im Februar waren mehr als eine halbe Millionen Menschen aus diesen acht Ländern sozialversicherungspflichtig beschäftigt und damit knapp 54.000 bzw. 11,5 Prozent mehr als im Jahr davor.

Zahl arbeitsloser Geflüchteter nimmt ab

Freilich gehört zum vollständigen Bild auch ein Blick auf die Arbeitslosigkeit. Im April etwa waren 955.400 Menschen mit einer ausländischen Staatsangehörigkeit arbeitslos, das sind 37 Prozent aller Arbeitslosen und 35 Prozent mehr als im Vorjahr. Das liegt in erster Linie an den ukrainischen Geflüchteten, die derzeit noch als arbeitslos gezählt werden – auch wenn Hunderttausende von ihnen an Integrations- und Sprachkursen teilnehmen. Lässt man die ukrainischen Geflüchteten außen vor und schaut nur auf Personen, die aus den acht Asyl- Hauptherkunftsländern stammen, waren im April  265.123 Menschen arbeitslos, 34.000 oder 15 Prozent mehr als vor einem Jahr. Der Anstieg ist mit der wieder steigenden Zahl der Flüchtlinge zu erklären.

Das IAB kommt in seiner Analyse zur Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten zu einer recht positiven Einschätzung: “Insgesamt ist die Arbeitsmarktintegration der seit 2013 nach Deutschland zugezogenen Geflüchteten (…) günstiger verlaufen als bei der Integration von Geflüchteten in der Vergangenheit: Mehr als die Hälfte derjenigen Geflüchteten, die sich bis (…) Jahresende 2019 fünf Jahre in Deutschland aufgehalten haben, waren beschäftigt, 46 Prozent von denjenigen, die sich bis dahin vier bis unter fünf Jahren in Deutschland aufgehalten haben. Diese Beschäftigungsquoten sind höher als bei Geflüchteten, die von 1990 bis 2013 nach Deutschland zugezogen sind.”

Ausbildungsmarkt profitiert von jungen Flüchtlingen

Wir sind der Wandel-NewsletterBegünstigend für die gute Jobmarktintegration wirken natürlich die guten Arbeitsmarktbedingungen in Deutschland. Und so sind die Prognosen eher günstig. Denn die seit 2013 nach Deutschland zugezogenen Geflüchteten sind im Durchschnitt deutlich jünger als die Bevölkerung in Deutschland: Knapp 70 Prozent der erwachsenen Geflüchteten waren beim Zuzug nach Deutschland jünger als 35 Jahre, 50 Prozent sogar jünger als 30 Jahre. Zugleich haben die allermeisten Menschen, die bis 2016 nach Deutschland als Flüchtlinge kamen, laut IAB mittlerweile gute oder sehr gute Sprachkenntnisse. Auch haben viele mittlerweile einen Schulabschluss oder eine Berufsausbildung hierzulande nachgeholt. Generell profitiert auch der Ausbildungsmarkt von den jungen Menschen, die als Flüchtlinge nach Deutschland kommen. So zeigt der Migrationsmonitor der BA, dass zehntausende Ausbildungsstellen mit Bewerberinnen und Bewerbern, die einen Fluchthintergrund haben, in den letzten Jahren besetzt werden konnten.

Auch wenn die Integration auf dem Arbeitsmarkt insgesamt etwas dauert, weil Sprachkenntnisse erworben und formale Abschlüsse nachgeholt werden müssen, profitiert Deutschland vom Zuzug dieser Menschen. Und noch etwas stimmt zuversichtlich: Gerade weil Flüchtlinge in der Regel jung sind, prägen sie die Zukunft von Deutschland durchaus mit. Denn viele bleiben in der Bundesrepublik und bauen sich hier ein Leben auf. Viele der Geflüchteten seit 2013 konnten mittlerweile Familiennachzug realisieren, andere haben hierzulande eine Familie gegründet. Die Kultusministerkonferenz (KMK) geht daher in Zukunft wieder von steigenden Schülerzahlen aus.

Tina Groll

Tina Groll arbeitet hauptberuflich als Redakteurin bei ZEIT ONLINE im Ressort Politik & Wirtschaft. 2008 zeichnete sie das Medium Magazin als eine der “Top 30 Journalisten unter 30 Jahren“ aus. Sie ist Mitglied im Deutschen Presserat sowie als Vorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union tätig. Als Autorin von WIR SIND DER WANDEL beschäftigt sie sich mit der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Gesundheitspolitik.