Der Niedriglohnsektor schrumpft

Ein Mann wischt den Boden vor einer geöffneten Gebäudetür

Deutschland hatte viele Jahre lang den größten Niedriglohnsektor in Europa. Über acht Millionen Menschen wurden zwischenzeitlich so schlecht bezahlt, dass viele mit Sozialleistungen aufstocken mussten. Der 2015 eingeführte Mindestlohn hat den Niedriglohnbereich mittlerweile erheblich schrumpfen lassen.

Der Niedriglohnsektor hatte im Jahr 2007 einen Anteil am Arbeitsmarkt von 23,5 Prozent. Fast ein Viertel der Beschäftigten in Deutschland arbeitete damals also zu Löhnen, die weniger als zwei Dritteln des mittleren Bruttostundenlohns entsprachen – die Definition von Niedriglohn.

Heute sieht das Bild anders aus: Eine neue Studie des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), über die ZEIT ONLINE zuerst berichtet hat, stellt fest, dass der Niedriglohnsektor bis zum Jahr 2022 auf 15,2 Prozent geschrumpft ist. Die Haushaltsnettoeinkommen der Menschen in Deutschland sind im Schnitt seit dem Jahr 1995 um ein Drittel gewachsen – und zwar inflationsbereinigt. Für die Untersuchung wurden die Einkommensdaten der Menschen in Deutschland von 1995 bis 2021 ausgewertet.

Maß der Ungleichheit noch recht gering

Demnach sind die Bruttostundenlöhne von abhängig Beschäftigten inflationsbereinigt durchschnittlich um 16,5 Prozent gewachsen. Der Effekt ist noch größer, wenn nur Menschen betrachtet werden, die Vollzeit arbeiten: Dann sind es 25 Prozent. Und vor allem der 2015 eingeführte Mindestlohn hat den Niedriglohnbereich erheblich schrumpfen lassen. Außerdem haben sich die Reallöhne in Deutschland prächtig entwickelt – vor allem aufgrund hoher Tarifabschlüsse durch die Gewerkschaften.

Heute ist der Arbeitsmarkt in Rekordlaune mit über 46 Millionen Menschen, die erwerbstätig sind – das sind gut acht Millionen mehr als im Jahr 1995. Gleichzeitig aber hat die Spreizung der Einkommen insgesamt zugenommen. Während die zehn Prozent der niedrigsten Einkommen nur um vier Prozent gestiegen sind, legten die obersten zehn Prozent um 50 Prozent zu. Der Grund: Die Hochvermögenden erzielen Einkommen nicht nur aus Erwerbsarbeit, sondern auch aus Kapital und Vermögen.

Trotzdem, auch das zeigt die DIW-Studie, ist Deutschland immer noch ein Land, in dem die soziale Ungleichheit eher niedrig ist. Das Maß der Ungleichheit wird mit dem sogenannten Gini-Koeffizienten gemessen, ein statistisches Maß für die Ungleichverteilungen in einer Gruppe. Im Jahr 1999 lag dieser bei 0,25, heute beträgt er 0,3. Das ist Expertinnen und Experten zufolge im internationalen Vergleich immer noch unterdurchschnittlich. Und etwa seit dem Jahr 2005 gibt es keine größeren Veränderungen mehr.

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Tina Groll

Tina Groll arbeitet hauptberuflich als Redakteurin bei ZEIT ONLINE im Ressort Politik & Wirtschaft. 2008 zeichnete sie das Medium Magazin als eine der “Top 30 Journalisten unter 30 Jahren“ aus. Sie ist Mitglied im Deutschen Presserat sowie als Vorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union tätig. Als Autorin von WIR SIND DER WANDEL beschäftigt sie sich mit der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Gesundheitspolitik.