Fester Freier, Freelancer, Unternehmer? Egal, Hauptsache selbstständig!

Schattenspiele mit Menschen vor Skylines

Immer wieder lese ich davon, dass Selbstständige nur ernst genommen werden, wenn sie „echte“ Unternehmer sind. Was aber heißt das eigentlich? Und warum ist das so?

Ein Gastbeitrag von Nicole Willnow

Meiner Meinung nach ist Vielfalt wichtig. Auch in der Selbstständigkeit. Das ist fast wie mit der Diversität: Jeder nach seiner Façon. Das bringt Bewegung in die gesamte Gesellschaft. Und in der neuen Arbeitswelt brauchen wir die.

Vor zehn Jahren schrieben Holm Friebe und Sascha Lobo über die sogenannte Digitale Boheme ihren Bestseller Wir nennen es Arbeit. Ihr Motto: „Etwas Besseres als die Festanstellung finden wir allemal!“ Das gilt auch heute noch, wenn sich Menschen aus ihren festen Jobs befreien, um lieber mit größerer Selbstbestimmung selbstständig zu arbeiten.

Welche Form sie dafür wählen, ist nicht das Entscheidende, sondern vielmehr, dass sie sich trauen, eigene Wege zu gehen. Es ist in Ordnung, wenn nicht jeder den Weg in die Selbstständigkeit wählt. Hauptsache es finden sich genug mutige Menschen, die Eigenverantwortung übernehmen, sich selbstständig machen und vielleicht ein eigenes Unternehmen gründen.

Wer Lust hat auf regelmäßige Weiterbildung und lebenslanges Lernen, hat die besten Voraussetzungen, um am Markt bestehen zu können. Und wenn Arbeitgeber eh nicht dafür zahlen, kann man seine Weiterbildungsinvestitionen auch in die eigene Tasche zurückfließen lassen.

Digitalisierung schafft Möglichkeiten

Die Digitalisierung hilft Selbstständigen: Sie können heute viel leichter ortsunabhängig für Kunden in aller Welt arbeiten. Sie kommunizieren digital, erledigen ihre Arbeit digital und versenden diese, ebenso wie die Abrechnung, digital. Das eröffnet eine viel größere Kundenanzahl, mehr Erfolg und mehr Einnahmen.

Auch durch die Digitalisierung, nämlich zum Beispiel via Crowdworking-Plattformen, von denen es in letzter Zeit immer mehr gibt, kann man sich leichter Freelancer-Jobs besorgen. Außerdem gibt es immer mehr Agenturen, die darauf spezialisiert sind, Freiberufler zu engagieren und an Unternehmen zu vermitteln, auch digital. Ähnlich wie Zeitarbeit, bloß für hochqualifizierte Selbstständige.

Es gibt ca. 4,2 Millionen Selbstständige in Deutschland, davon 1,3 Millionen Freiberufler. Knapp 60 Prozent sind Solo-Selbstständige und 40 Prozent haben Angestellte. Das sind ungefähr zehn Prozent der Erwerbstätigen. Damit ist Deutschland jedoch nur an 20. Stelle in Europa. Immerhin sind in den vergangenen zehn Jahren die absoluten Zahlen gestiegen, aber auch die aller Erwerbstätigen. Die Selbstständigen-Quote ist in den letzen Jahren gesunken. Wieso?

Wenn die Arbeitslosenzahlen niedrig sind, also fast Vollbeschäftigung herrscht, schrumpft die Bereitschaft sich selbstständig zu machen. Wird die Selbstständigen-Quote wieder steigen, wenn in den nächsten zehn Jahren viele Arbeitnehmer durch die Digitalisierung angeblich ihren Job verlieren werden? Werden so viel Jobs wegfallen, dass Arbeitnehmer nichts mehr anderes übrig bleibt, als sich selbstständig zu machen? Was ist die Chance daran?

“Selbstständig zu werden, ist die Grundlage allen wirtschaftlichen Handelns. In Deutschland sinkt die Zahl der Firmengründungen seit Jahren. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern stehen wir schlecht da. Wenn wir das ändern wollen, dann sollten wir Bilder malen, die der neuen digitalen Freiheit entsprechen.“ sagen Ehrenfried und Brigitte Conta Gromberg.

Selbstbestimmung versus Risiko

Nach wie vor ist die Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung von Selbstständigen größer als die der meisten Angestellten. Und wollen wir in Zukunft wirtschaftlich weiter so gut dastehen, brauchen wir Mut und Freiheitsliebe und eine freie Arbeitskultur. Die unternehmerische Denke, die die meisten Selbstständigen haben, und die inzwischen auch von immer mehr Angestellten verlangt oder erwartet wird, die letztere aber eher selten haben, ist eine echte Zukunftskompetenz. Hoffentlich wird die Digitalisierung diese und die Selbstständigkeit in Zukunft noch fördern. Denn externe Spezialisten werden immer wichtiger, wenn Unternehmen ihre Jobs nicht mehr intern besetzen können.

Wer sich selbstständig macht, ist aber nicht gleich ein Unternehmer. Dafür musste man früher üblicherweise mindestens einen Angestellten und ein Büro haben. Aber inzwischen? Es gibt Beispiele von Unternehmen, die ohne festes Büro auskommen und trotzdem Angestellte haben, die dazu noch in verschiedenen Ländern sitzen (wie beispielsweise management30.com von Jurgen Appelo).

Wer regelmäßig Aufträge an andere Freelancer oder Dienstleister in seinem Netzwerk vergibt, für den ist das auch kein anderes unternehmerisches Risiko, als wenn man Angestellte beschäftigt. Für Freelancer, mit denen man vielleicht jahrelang zusammen arbeitet, fühlt man sich genauso verantwortlich wie für Angestellte. Und letztere kann man heutzutage fast genauso schnell freisetzen, was man gerade an den letzten Entlassungen in der Digital-Branche sehen konnte.

Überhaupt sind Angestellte heute fast genauso unsicher in ihrem Job, auch wenn sich die irrige Annahme hartnäckig hält, sie seien viel sicherer. Nur bei Beamten ist das anders. Ist das der Grund, warum laut Umfragen so viele junge Menschen aus der Gen Y und die ersten aus der Gen Z überproportional staatliche Jobs anstreben? Und stehen wir daher in der Selbstständigen-Statistik nur an 15. Stelle der Industrieländer? Weil wir so viele Jobs in der Verwaltung haben und eine so gute soziale Absicherung? Oder liegt es daran, dass wir nicht über die nötigen Kenntnisse und Eigenschaften verfügen?

Wikipedia definiert Unternehmertum folgendermaßen: “Es schließt kreative Elemente wie die systematische Identifizierung von (Markt-)Chancen, das Finden von neuen (Geschäfts-)Ideen und deren Umsetzung in Form von neuen Geschäftsmodellen ein.“ Zum unternehmerischen Handeln gehört außerdem die Erschließung und Nutzen von Ressourcen sowie das Tragen von Risiken.

Laut Wikipedia tragen Unternehmer auch ein persönliches Kapitalrisiko. Meiner Meinung nach trifft gerade das auf alle Selbstständigen zu. Bin ich ein Unternehmer, wenn ich etwas unternehme? Üblicherweise nur mit Gewinnabsichten. Andernfalls bin ich ein Social Entrepreneur. Dazu aber später einmal mehr.

Man kann auf jeden Fall fast ohne Kapital gründen, wenn man im Dienstleistungssektor unterwegs ist, und von Anfang an mindestens einen Kunden hat. Will man sich aber nicht abhängig machen von einem einzigen Kunden, braucht es vielleicht etwas mehr Zeit und Kapital. Will man wachsen, geht es irgendwann nicht mehr ohne. Aber natürlich trägt man sowieso jeden Monat das Risiko, das die Einnahmen reichen, um zu überleben – später auch, um gut zu leben. Also ist es hilfreich und absichernd, sich Kapital anzusparen. Egal, ob man das dann ins Eigenkapital einer Kapitalgesellschaft steckt oder als Freelancer auf dem Privatkonto vorhält. Man muss so oder so voraus denken.

Auch Angestellte müssen unternehmerischer werden

Braucht es also bestimmte Persönlichkeitseigenschaften, um selbstständig zu sein? Bestimmte sind auf jeden Fall von Vorteil: Eigeninitiative und Kreativität, Risikobereitschaft oder besser noch Mut, „Ambiguitätstoleranz“ und emotionale Stabilität, man könnte auch Resilienz sagen, und andere mehr. Glücklicherweise stimmen viele von diesen mit denen überein, die in Zeiten der Digitalisierung von allen Beschäftigten, ich will nicht sagen erwartet, aber doch goutiert werden. Dazu kommt noch eine sehr wichtige Eigenschaft, die ich selbst auch erst lernen musste: Durchhaltevermögen.

Ich selbst bin gleichzeitig Freelancer, feste Freie und Unternehmerin in unterschiedlichen Projekten und Firmen. Und ich bin alt genug, so dass es mir egal ist, ob andere das ernst nehmen oder nicht. Aber lasst doch bitte den jungen Selbstständigen auch ihre Freiheit und Motivation. Egal, ob als Freelancer, fester Freier oder Unternehmer: Wir sollten über jeden dankbar sein, der das Abenteuer Selbstständigkeit angeht.

In diesem Sinne: We can work it out!

Die Ratgeber-Redaktion

Unter der Autor:innen-Bezeichnung REDAKTION veröffentlichten DIE RATGEBER von 2010 bis 2020 Gastbeiträge sowie Agenturmeldungen. Im August 2020 gingen die Inhalte von DIE RATGEBER auf die Webseite WIR SIND DER WANDEL über.