Jobsharing: Ein Modell für die Zukunft?

Frau steht vor vorbeifahrender U-Bahn

Als Virginia Bastian nach der Geburt ihrer Tochter ihren Job nicht aufgeben, aber reduzieren möchte, sucht sie innerhalb des Nestlé-Konzerns eine Tandem-Partnerin fürs Jobsharing. Ein Selbstläufer ist es nicht.

Jobsharing ist seit den 1980er-Jahren bekannt in Europa, allerdings kommt die Verbreitung nur langsam voran. Arbeitgeber, die sich darauf einlassen, einen Job mit einem Tandem zu besetzen, sind noch immer in der Minderheit: Laut Schätzungen nutzen zwischen 15 und 20 Prozent aller Unternehmen Jobsharing. Zudem galt es in der Vergangenheit eher als Modell für Fachkräfte, nicht aber für Führungspositionen. Dabei eignet sich der Ansatz auch für qualifizierte Jobs. Gerade für Arbeitnehmerinnen, die ihre Stundenzahl reduzieren wollen, ist es eine Möglichkeit, einen anspruchsvollen Job zu machen und ihn zugleich im Team – nämlich zu zweit – zu meistern.

Tandemploy, ein Berliner Start-up, das über eine Plattform Jobsharing-Kandidaten mit interessierten Arbeitgebern zusammenbringt, tut aktuell viel dafür, die Topsharing-Idee in den Köpfen von Personalmanagern zu verankern. Dahinter verbirgt sich Jobsharing auf Top-Niveau, sogar in der Geschäftsführung.

„Skeptikern konnten wir den Wind aus den Segeln nehmen, indem wir unser Jobsharing-Vorhaben als Experiment deklarierten.“ Dr. Virginia Bastian, Personalleiterin, Nestlé Purina Petcare

Virginia Bastian – Pendlerin zwischen ihrem Job in Köln und ihrem Zuhause im Großraum Frankfurt – musste gar nicht mehr überzeugt werden. Die Human Resources-Direktorin bei der Nestlé-Tochter Purina Petcare war nach der Geburt ihrer Tochter auf der Suche nach einem neuen Arbeitsmodell: Sie wollte ihren Job nicht aufgeben, hatte aber auch keine Lust mehr auf die häufige Pendelei. Ihr damaliger Chef legte jedoch großen Wert auf Präsenz, deshalb suchte sie sich innerhalb des Nestlé-Konzerns eine Tandem-Partnerin. Mit ihr teilt sie sich die Personalleitung des Tiernahrungsherstellers seit dem Frühjahr 2015.

Ein Selbstläufer ist Jobsharing keinesfalls

Irrtümer und Mythen rund ums ArbeitsrechtEs war das erste Jobsharing-Tandem auf Management-Ebene im Nestlé-Konzern. Somit war einiges an Überzeugungsarbeit nötig, bevor Bastian und ihre Kollegin starten konnten. „Wir gingen regelrecht auf Roadshow und begannen mit der obersten Hierarchieebene“, erzählt die promovierte Wirtschaftspsychologin. So reiste das Duo vom Personalvorstand des Konzerns über die Geschäftsführung in Euskirchen und den europäischen HR-Chef bis zum Betriebsrat. Wenn sie es nicht anders organisieren konnte, hatte Bastian sogar ihre kleine Tochter dabei. „Mit Baby auf dem Schoss im Büro des Personalvorstands, das war schon eine merkwürdige Situation, aber es passte ja zum Thema“, erinnert sich Virginia Bastian.

Die Entscheider im Nestlé-Konzern reagierten sehr unterschiedlich: Von Zustimmung über positive Neugierde bis zu Skepsis war vieles dabei. Als das Tandem vorschlug, das Projekt nach einem halben Jahr auf den Prüfstand zu stellen, um es gegebenenfalls anzupassen oder als gescheitert zu erklären, willigten schließlich auch die Skeptiker ein. Nach außen hin lief die Arbeit des Duos so reibungslos, dass nach sechs Monaten niemand auf die Idee kam, das Modell ernsthaft in Frage zu stellen. Inzwischen gilt das Tandem konzernintern sogar als Best Practice-Fall, von dem andere Divisionen lernen können. So startete beispielsweise ein weiteres Duo im Marketing einer anderen Nestlé-Gesellschaft. Selbst der Vorstand informiert sich über die Erfahrungen des neuen Arbeitsmodells.

„Frauen lassen sich häufig von den eigenen Bedenken zurückhalten. Warum überlassen sie es nicht ihrem Arbeitgeber, etwaige Einwände zu äußern? Interessanterweise findet das meiste nur in ihren Köpfen statt. Die Arbeitgeber haben die Einwände häufig gar nicht.“ Dr. Fee Steinhoff, Innovationsmanagerin, Telekom Innovation Laboratories

Ein Selbstläufer ist Jobsharing aber keinesfalls, gibt Bastian selbstkritisch zu. Gerade zu Beginn ist der Abstimmungsbedarf hoch, so dass die reduzierte Arbeitszeit von 60 Prozent in ihrem Fall und 40 Prozent bei ihrer Co-Personalleiterin tatsächlich deutlich höher war. Beide sind sich des Modellcharakters und ihrer Verantwortung bewusst, um auch anderen Kolleginnen und Kollegen den Weg zum Jobsharing zu ebnen – vor allem weil es eine Möglichkeit ist, den gewünschten Job weitermachen zu können.


Checkliste: So gelingt Jobsharing

  • Der Erfolg eines Tandems hängt von seiner Zusammensetzung ab. Sucht euch Partner auf Augenhöhe.
  • Achtet darauf, dass die Chemie stimmt. Egal, ob es Lob oder Kritik gibt: Die Stelle wird von einem Tandem besetzt, nicht von zwei Einzelkämpfern.
  • Werbt im Unternehmen für eure Idee: Durch Jobsharing erhält ein Arbeitgeber mehr Kompetenzen, zwei Blickwinkel, mehr Kreativität und Inspiration.
  • Tretet als abgestimmte Einheit auf und kommuniziert konkrete Zuständigkeiten klar ans Team, an Kollegen und Vorgesetzte.
  • Verabredet ergänzende Arbeitszeiten und kommuniziert gegenüber Kollegen und Kunden, wer wann erreichbar ist.
  • Bringt jedoch eine gewisse Flexibilität mit. Nicht immer ist die strikte Aufteilung nach Arbeitstagen möglich.
  • Plant einen gemeinsamen Arbeitstag/-nachmittag ein, um euch persönlich und mit dem Team austauschen zu können.
  • Gibt es Unstimmigkeiten bei den Zuständigkeiten, regelt es hinter den Kulissen.
  • Das erfordert, dass E-Mails und Telefonanrufe auch an freien Tagen gecheckt werden.
  • Haltet euch fortlaufend gegenseitig informiert – neben einem Jour fixe auch über kurze Telefonate und Themenlisten.
  • Lasst euch nie gegeneinander ausspielen, Konkurrenzgedanken sollten keinen Platz haben.
  • Kommt ihr aus einer Vollzeitstelle, bedenkt bei den Zielvereinbarungen: Zwei Teilzeitkräfte erreichen vielleicht mehr als eine Vollzeitkraft, nicht aber das Doppelte.

Auch bei Fee Steinhoff ist die Idee zum Jobsharing aus dem Wunsch heraus entstanden, ihre Stelle als Teamleiterin bei den Telekom Innovation Laboratories nach der Geburt ihres dritten Kindes in Teilzeit zu behalten. Sie suchte sich innerhalb ihres Teams, mit dem sie das Thema “User Driven Innovation” verantwortet, eine Vertretung für die zehnmonatige Elternzeit und machte diese hinterher zu ihrer Tandem-Partnerin. Dazu musste sie in doppelter Hinsicht Überzeugungsarbeit leisten: Ihre künftige Kollegin für die Vorzüge einer Führungsposition begeistern und ihre Chefin davon überzeugen, dass sich das selbstredend auch auf das Gehalt der Kollegin auswirken muss.

„Wenn Unternehmen sich innovativ nennen, sollten sie auch bei der Gestaltung von Arbeit innovativ sein. Alles andere wäre unglaubwürdig!“ Dr. Fee Steinhoff, Innovationsmanagerin, Telekom Innovation Laboratories

Für Steinhoff, eine promovierte Betriebswirtin, gab es keine andere Lösung. Sie lebte mit ihrer Familie im Rheinland und statt sie zu verlieren, bot die Telekom AG ihr Bonn als Dienstsitz an. So strickte sie an ihrer Teilzeitlösung: zwei Tage Home Office und zwei Tage Berlin. Als männliche Kollegen im T-Lab deutlich machten, dass sie keine Fans des Tandem-Modells waren, hielt sie dagegen: „Wir sind die Innovationseinheit des Telekomkonzerns. Wenn es bei uns nicht möglich ist, wo denn dann?“ Noch heute, das merkt man ihr an, findet Steinhoff es absurd, dass es tatsächlich Vorbehalte gegeben hat. Deswegen hat sie damals auch selbstbewusst gekontert: „Seid doch froh, dass ich wiederkomme und einer anderen Frau einen Karriereschritt ermögliche.“

Buchauszug aus:


Mut zu Kindern und Karriere.
Mut zu Kindern und Karriere
von Stefanie Bilen (Herausgeber: Working Moms)
Frankfurter Allgemeine Buch (1. Auflage, Oktober 2016)
24,90 Euro (D)
ISBN 978-3-95601-159-7

 

 


 

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