Sucht am Arbeitsplatz: Prävention als Führungsaufgabe

Mann zieht an einem Joint

Sucht am Arbeitsplatz bleibt oft unbemerkt. Frühzeitiges Handeln, klare Betriebsvereinbarungen und eine offene Präventionskultur schützen die Gesundheit und sichern Arbeitsplätze.

Sucht ist kein Randthema – auch nicht im Berufsleben. Ob Alkohol, Medikamente, Glücksspiel oder digitale Abhängigkeiten: Suchterkrankungen betreffen Menschen in allen Branchen, Funktionen und Hierarchien. Dennoch bleibt das Thema in vielen Betrieben tabu oder wird erst sichtbar, wenn Leistungseinbrüche, Fehlzeiten oder Konflikte auftreten. Dabei gilt: Je früher man handelt, desto größer die Chance auf erfolgreiche Hilfe – und auf den Erhalt des Arbeitsverhältnisses.

Die Arbeitswelt wandelt sich rasant, was die psychische Gesundheit der Mitarbeitenden belastet. Digitale Transformation, ständige Erreichbarkeit, neue Technologien und unsichere Rahmenbedingungen durch geopolitische und wirtschaftliche Entwicklungen setzen Beschäftigte unter Druck. Leistungsanforderungen steigen, die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben verschwimmen, Orientierung fällt schwerer. In solchen Spannungsfeldern steigt wächst die Gefahr, Stress kurzfristig mit ungesunden Mitteln zu bewältigen – oft durch Suchtmitteln oder süchtiges Verhalten.

Suchtmittel als Stressventil

Irrtümer und Mythen rund ums ArbeitsrechtDie Corona-Pandemie hat die Dynamik der Suchterkrankungen am Arbeitsplatz verstärkt. Isolation, fehlende Struktur, gesundheitliche Sorgen, familiäre Belastungen und der Wegfall sozialer Kontrolle im Homeoffice führten bei vielen zu einem höheren Konsum von Alkohol oder Medikamenten. Die Schwelle zum problematischen Gebrauch sank – ebenso die Hemmschwelle, Suchtmittel zur Alltagsbewältigung einzusetzen. Unternehmen bemerkten diesen Anstieg oft nur indirekt, etwa durch höhere Fehlzeiten oder auffällige Verhaltensänderungen.

Besonders verbreitet sind Alkoholabhängigkeit und riskanter Alkoholkonsum, gefolgt von Medikamentenmissbrauch, etwa bei Schlaf- oder Schmerzmitteln. Auch Nikotinabhängigkeit bleibt ein Thema, wird jedoch zunehmend von digitalen Abhängigkeiten verdrängt. Exzessiver Gebrauch von Smartphones, Online-Gaming oder Social Media – schwerer zu fassen als stoffgebundene Süchte – nimmt zu und beeinträchtigt Konzentration, Arbeitsfähigkeit und soziale Integration. Pathologisches Glücksspiel, vor allem online, ist ein weiteres wachsendes Problem, das oft im Verborgenen bleibt.

Betriebsvereinbarungen schaffen Klarheit

Betriebliche Vereinbarungen zur Suchtprävention sind entscheidend. Sie schaffen Verbindlichkeit und ermöglichen einen professionellen, strukturierten und zugleich menschlichen Umgang mit einem sensiblen Thema. Eine solche Vereinbarung macht Unsichtbares sichtbar, regelt den Umgang mit suchtgefährdeten Beschäftigten und gibt Führungskräften sowie Kolleg:innen Sicherheit. Sie wahrt die Würde der Betroffenen und fördert eine Kultur, die Verantwortung statt Schuld betont.

Die Eckpunkte umfassen meist die Definition von Sucht im betrieblichen Kontext, klare Abläufe zur Frühintervention, das sogenannte Stufenverfahren und die Einbindung interner sowie externer Unterstützungsangebote – etwa Betriebsärzt:innen, Sozialberatung oder Suchtfachstellen. Vertraulichkeit, Datenschutz, Gesprächsformate und Schulungspflichten der Führungskräfte gehören ebenfalls dazu. Prävention und Gesundheitsförderung sollten integraler Bestandteil sein, um das Thema aktiv anzugehen, statt nur zu reagieren.


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Prävention muss sichtbar und kontinuierlich sein

Erfolgreiche Prävention setzt auf eine ganzheitliche Gesundheitskultur. Neben Informationskampagnen gehören regelmäßige Unterweisungen über Suchtgefahren dazu – ähnlich wie bei anderen Arbeitsschutzthemen. Solche Schulungen sensibilisieren für Risiken, vermitteln rechtliche Grundlagen und machen Hilfsangebote bekannt. Stoffgebundene und verhaltensbezogene Süchte sollten gleichermaßen thematisiert werden. Interaktive Formate, Erfahrungsberichte oder E-Learnings erhöhen die Wirksamkeit. Doch Prävention darf keine einmalige Aktion bleiben – sie muss sichtbar und selbstverständlich sein.

Moderne Standards in der Suchtprävention orientieren sich an systemischem Gesundheitsmanagement. Dazu zählen Vertrauensstrukturen, belastbare Interventionsketten, Qualifizierungsangebote für Führungskräfte und eine offene, wertschätzende Kommunikation. Der Fokus verschiebt sich von individueller Pathologisierung hin zu organisationaler Verantwortung. Betriebe sollen nicht erst reagieren, wenn Probleme offensichtlich werden, sondern präventiv Bedingungen schaffen, die gesundes Arbeiten ermöglichen. Dazu gehört auch, Belastungsfaktoren systematisch zu analysieren, etwa im Rahmen von Gefährdungsbeurteilungen psychischer Belastungen.

Führungskräfte als Schlüsselakteure

Führungskräfte spielen eine zentrale Rolle. Sie sind oft die ersten, die Veränderungen bei Mitarbeitenden bemerken, und entscheiden, ob sie handeln oder wegsehen. Doch viele fühlen sich im Umgang mit Sucht unsicher oder überfordert. Schulungen, Handlungsleitfäden und Rückhalt der Unternehmensleitung sind hier unverzichtbar. Das Thema sollte fester Bestandteil von Führungskräftetrainings sein, etwa im Kontext von Fürsorgepflicht und Arbeitsrecht.

Auch der Betriebsrat ist ein wichtiger Akteur. Er hat nicht nur Mitbestimmungsrechte bei Regelungen zur Suchtprävention, sondern auch eine Fürsorgefunktion. Er kann Betroffene unterstützen, Vertrauen aufbauen, Hilfsangebote vermitteln und sich für niedrigschwellige Strukturen einsetzen. Zudem wirkt er an der Entwicklung und Umsetzung von Betriebsvereinbarungen mit und fördert eine gesundheitsorientierte Unternehmenskultur.

Kommunikation: Unterstützend statt belehrend

Ein oft unterschätzter Hebel ist die betriebliche Öffentlichkeitsarbeit. Kampagnen, Info-Tage, Aktionswochen oder Beiträge im Intranet helfen, das Thema zu enttabuisieren und präsent zu halten. In einer zunehmend hybriden und dezentralen Arbeitswelt braucht es neue Ansätze: digitale Awareness-Formate, Videos oder interaktive Tools, die auch mobile Mitarbeitende erreichen. Entscheidend ist, dass Suchtprävention unterstützend statt belehrend kommuniziert wird. Arbeitgeber, die glaubhaft zeigen, dass ihnen die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden wichtig ist, schaffen Vertrauen.

Am Ende geht es bei betrieblicher Suchtprävention um mehr als Gesundheitsmanagement. Es geht um Kultur, Verantwortung und Menschlichkeit. Unternehmen, die Sucht professionell, respektvoll und nachhaltig ansprechen, fördern nicht nur die Gesundheit ihrer Beschäftigten. Sie sichern auch Leistungsfähigkeit, Vertrauen und Zusammenhalt in einer immer komplexeren Arbeitswelt. Prävention ist kein Luxus, sondern ein Kernbestandteil verantwortungsvoller Unternehmensführung.

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Sabine Hockling

Die Chefredakteurin Sabine Hockling hat WIR SIND DER WANDEL ins Leben gerufen. Die Wirtschaftsjournalistin und SPIEGEL-Bestsellerautorin beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit den Veränderungen unserer Arbeitswelt. Als Autorin, Herausgeberin und Ghostwriterin veröffentlicht sie regelmäßig Sachbücher – seit 2023 in dem von ihr gegründeten DIE RATGEBER VERLAG.