Ein ungewöhnliches und vor allem prägendes Jahr neigt sich seinem Ende und hat bei den Menschen, in der Gesellschaft und vor allem in der Wirtschaft enorme Spuren hinterlassen. Wie wird sich das langfristig auf die Unternehmens- und Führungskultur auswirken?
Ein Gastbeitrag von Sabine Hansen
Bereits Anfang 2020 zeigte sich, dass es kein einfaches Jahr werden würde. Angefangen mit dem unnötigen Brand des Affenhauses im Krefelder Zoo durch fehlgeleitete Chinalaternen in der Silvesternacht, und ein neuer Virus, der sich von China aus seinen Weg um die Welt bahnte. Allerdings ahnte damals noch keiner, dass wir uns Mitte März plötzlich in einem Lockdown, der vorübergehend das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben lahmlegen würde, befinden würden.
Masken, Abstandhalten und neue Hygieneregeln bestimmten plötzlich unseren Alltag – und die deutsche Wirtschaftselite mittendrin. Frühere Statussymbole wie das repräsentative Eckbüro, die Vielfliegerkarte der Lufthansa oder das beharrliche Festhalten des Präsenzkults in den Bürotürmen der deutschen Metropolen verloren binnen weniger Wochen ihre Bedeutung. Via LinkedIn machten Remote Working und Remote Leadership die Runde, Konferenztools wie Zoom, Teams etc. stiegen wie Phönix aus der Asche auf. Langgehegte Vorbehalte gegen das Arbeiten im Home-Office lösten sich im Nichts aus, denn Deutschlands Arbeitnehmer zeigten, dass sie mit Fleiß und Zuverlässigkeit die neuen Belastungen annahmen. Die großen Verlierer des ersten Lockdowns hingegen waren die Kinder und ihre arbeitenden Eltern, die plötzlich alles in Personalunion waren: Erzieherinnen und Erzieher, Köchinnen und Köche, Lehrerinnen und Lehrer. Vor allem das Schließen der Schulen und der Kitas erschwerten die Gesamtsituation in den Wochen um das Osterfest zusätzlich, das Rollenbild der Frau aus den 1950er-Jahren machte die Runde.
Schurken im Vorstand
Als Mitte Mai mit dem Rückgang der Fallzahlen die ersten Lockerungen kamen, bahnte sich für die Wirtschaft – und vor allem für die Berliner Politik – das nächste Drama an: Der Fall Wirecard löste für einige Tagen die Debatten um das Coronavirus ab. Der über Jahre gehypte FinTech Star aus Aschheim bei München hatte im großen Stil betrogen und sich kriminellen Machenschaften hingegeben – alles mit dem Segen der BaFin und den beteiligten Wirtschaftsprüfern. Dass die Schurken im Vorstand saßen und über dunkle Kanäle Milliardensummen verschwanden, machten den Wirtschaftskrimi perfekt. Noch immer läuft die Aufklärung und es zeigt sich, dass auch Teile der Berliner Politik involviert sind.
Und auch der Fall um die Gründer der stark wachsenden Handybank N26, die die Gründung eines Betriebsrats mit unlauteren Mitteln verhindern wollten, empörte Gesellschaft, Presse sowie Gewerkschaften. Es schien, dass dem Wachstumshunger der Branche keine Grenzen gesetzt und Sustainability und Governance nur gehypte Modewörter waren. Der Shitstorm, der dann über die sozialen Medien über N26 hereinbrach, erinnerte ein wenig an die unsensible Entscheidung des adidas CEO zu Beginn der Pandemie, die Mieten auszusetzen. Im Gegensatz zu N26 handelte der CEO im gesetzlich erlaubten Rahmen, unterschätzte aber völlig, was diese Entscheidung bei den Käufergruppen des Unternehmens auslöste. Von Boykottaufrufen bis hin zu Diversitätsdebatten war auf einmal alles vertreten. Flugs kam im November die Bekanntgabe, dass das Unternehmen 2021 endlich die erste Frau im Vorstand haben werde. Exzellent ausgebildet, kosmopolitisch erfahren und unter Diversitätskriterien ausgewählt; passender, konnte die Besetzung der neuen Vorständin nicht sein. Ob damit die Kritik an dem CEO dauerhaft verstummen wird, wird sich zeigen.
Fehltritte werden unerbittlich geahndet und aufgezeigt
Jetzt neigt sich das Jahr dem Ende und wieder sind wir mitten im Lockdown. Und wieder überrascht ein CEO, nämlich der Co-CEO des Onlineversandhändlers Zalando, mit einer Nachricht: Rubin Ritter wird sich 2021 aus dem Vorstand zurückziehen, um seine Frau bei der Verwirklichung ihrer Karriereplänen zu unterstützen. Von vielen für die Nachricht gefeiert, bleibt abzuwarten, ob Zalando diese Chance nutzt und jetzt eine Frau in den Vorstand holen wird.
Was von 2020 definitiv bleibt ist die Erkenntnis, dass der Seismograf, was wirtschaftlich verantwortliches Verhalten betrifft, deutlich ausgeprägter ist als je zuvor. Von Top-Managern wird erwartet, dass sie sich nicht nur um den wirtschaftlichen Erfolg ihres Unternehmens kümmern, sondern auch das richtige Verhalten an den Tag legen. Jeglicher Fehltritt wird unerbittlich geahndet und aufgezeigt, über die sozialen Netzwerke jagd ein Shitstorm den nächsten. Das Moralisieren hat endgültig die Wirtschaftselite erreicht und stellt alles bisher Gekannte unter einem neuen Licht.
Was macht das mit den Mitarbeitenden, die sich wieder zwischen Home-Office, Kind und Kegel feststecken? Denn neben Zukunftsängsten bleibt vor allem die Frage, wie sehr sie noch die kulturelle Rückversicherung mit ihren Arbeitgebern erleben. Und weil wichtige Rituale und Sozialkontakte in Zeiten der Pandemie gelitten haben, ist der Mensch als soziales Wesen in Gefahr. Wie sich das langfristig auf die Unternehmens- und Führungskultur auswirken wird, lässt sich noch nicht abschätzen. Einig sind sich jedenfalls alle, dass 2020 ein Jahr zum Vergessen ist.
Nach knapp 30 Jahren vorwiegend in amerikanischen Firmen der Technologie- und Beratungsbranche, hat Sabine Hansen eine Reise an die Ostküste der USA mit deutschen Aufsichtsräten dazu inspiriert, die Suche und Gewinnung von weiblichen Top-Führungskräften in die eigene Hand zu nehmen und She4Her zu gründen.