Das Geschäft mit der Angst

Verschwommene Person auf Rolltreppe

Statistisch gesehen erkrankt jeder zweite Deutsche in seinem Leben an Krebs. Die meisten Menschen sind zum Zeitpunkt der Diagnose allerdings bereits alt. Dennoch bieten Versicherungen nun spezielle Krebsversicherungen – vor allem für Jüngere – an.

Eine junge Mutter schaut sorgenvoll ins Leere. Auf dem Arm hat sie ein Kleinkind, dem sie einen Kuss gibt. Daneben ist auf einem Foto in Nahaufnahme eine Frauenhand zu sehen, die eine Frauenbrust nach Knoten abtastet. “Wenn du an Krebs erkrankst, gerät dein Leben durcheinander. Dir fehlt Geld. Denn das Krankengeld ist niedriger als dein Gehalt. Es kann sein, dass du einen Job verlierst. Wer versorgt dann deine Familie?” So bewirbt ein großer Anbieter eine sogenannte Krebsversicherung. Zu finden sind die Anzeigen in sozialen Netzwerken, vor allem Müttern mit kleinen Kindern werden die Annoncen gezeigt. Geworben wird aber auch auf Plakaten an Bahnhöfen und in S- und U-Bahnen.

Immer mehr Versicherungsunternehmen haben solche speziellen Krankenversicherungen im Angebot. Sie zahlen in der Regel eine einmalige Summe, wenn Versicherte an Krebs erkranken. Je nach Anbieter gibt es zwischen 8.000 bis 100.000 Euro. Einer der führenden Anbieter ist das Berliner Start-up Getsurance, das mittlerweile von der Nürnberger Versicherung gekauft wurde. Aber auch die HanseMerkur, InterRisk, Advigon und die Würzburger haben entsprechende Produkte im Angebot.

Die meisten sind zum Zeitpunkt der Diagnose bereits alt

“Krebsversicherungen sind zwar noch ein Nischenprodukt, aber definitiv ein Trend im Markt”, sagt Philip Wenzel, Versicherungsmakler sowie Chefredakteur von Worksurance, einer Informationsplattform zum Thema Einkommenssicherung und Arbeitkraftabsicherung. Und er muss es wissen, denn wie kaum ein anderer kennt sich Wenzel in der Branche aus. So hat er die derzeit auf dem Markt befindlichen Produkte miteinander verglichen. “Sie bedienen vor allem ein besonderes Bedürfnis: Die Angst vieler Menschen, an Krebs zu erkranken”, so Wenzel. Diese Angst ist nicht unberechtigt. Statistisch gesehen erkrankt jeder zweite Deutsche einmal in seinem Leben an Krebs – Männer sogar etwas häufiger. Mehr als eine halbe Million Menschen erhalten in Deutschland pro Jahr die Diagnose Krebs.

Cover für Überall, nur nicht im BüroAllerdings ist der Anstieg nur gering und vor allem mit der gestiegenen Lebenserwartung zu erklären. Das heißt, die meisten Menschen sind zum Zeitpunkt der Diagnose bereits alt oder sehr alt, viele sogar älter als 80 Jahre. Fast alle Krebsarten treten nämlich bei älteren Menschen sehr viel häufiger auf als bei Jüngeren. Dass das Krebsrisiko mit dem höheren Alter steigt machen sich diese Vrsicherungen zunutze: Die meisten Produkte versichern nur jüngere Menschen, die ein viel geringeres Erkrankungsrisiko haben. Denn in der Regel endet die Versicherung spätestens mit dem Renteneintritt, bei einigen auch schon früher. Zudem sind bei den meisten Anbietern nur bestimmte Krebsarten versicherbar, auch muss der Tumor bereits ein fortgeschrittenes Stadium erreicht haben. Ist eine bösartige Neubildung dagegen noch sehr klein, haben Versicherte zwar vielleicht gute Behandlungschancen – die Versicherung aber zahlt nicht.

Je jünger der Versicherte, desto günstiger die Versicherung

“Diese Versicherungen dürfen nicht als Einkommensschutz im klassischen Sinne verstanden werden und man sollte sie auch nicht damit vergleichen. Da ist dann eine Berufsunfähigkeitsversicherung sehr viel besser geeignet. Die Krebsversicherungen lösen eben nur ein einziges, ganz konkretes Problem”, so Wenzel. Er gibt jedoch auch zu bedenken: Nur 30 Prozent der Beschäftigten in Deutschland haben eine Berufsunfähigkeitsversicherung, die auch schwere Erkrankungen wie Krebs abdecken und dann eine Berufsunfähigkeitsrente von in der Regel 60 bzw. 67 Prozent des Nettoeinkommens zahlen. “Aber die Berufsunfähigkeitsversicherungen haben ein schlechtes Image. In vielen Berufen sind sie für die Menschen sehr teuer und manche kommen wegen einer Vorerkrankung gar nicht rein”, weiß Wenzel.

Die Krebsversicherungen hingegen sind schon für rund sechs Euro im Monat zu haben. Je jünger der Versicherte, desto günstiger die Versicherung. “Aber sie leisten eben auch nur für einen bestimmten Schadensfall und sichern nicht das monatliche Einkommen ab, sondern zahlen in der Regel nur eine Summe einmalig”, so der Experte. Allerdings bieten einige Versicherer noch zusätzliche Leistungen an. Dazu gehören zum Beispiel bei manchen Anbietern neben der Zahlung eines Krankentagegelds auch eine Stilberatung, etwa nach einer Chemotherapie, oder die Kostenübernahme für eine psychologische Betreuung. Fraglich ist jedoch, welchen Mehrwert das verglichen mit der ohnehin in der Regel von der Krankenkasse gezahlten psychoonkologischen Therapie während oder nach einer Krebserkrankung darstellt. Klar ist in jedem Fall: Die Versicherer werden immer erfinderischer.

Verbraucherschützer warnen

Wir sind der Wandel-NewsletterUnd anders als bei einer Berufsunfähigkeitsversicherung sind die Fragen der Versicherungen an die Kundinnen und Kunden zum Gesundheitszustand überschaubar. Hier tun sich aber weitere Probleme auf. Einige Anbieter stellen Fragen, ob nahe Verwandte bereits einmal an Krebs erkrankt sind. Was die Konzerne jedoch nicht überprüfen können. Und nicht jeder weiß von allen Krebserkrankungen der Eltern oder Geschwister. Anders als bei der klassischen Berufsunfähigkeitsversicherung fragen die Anbieter aber einen deutlich längeren Zeitraum bei den Gesundheitsfragen ab – nämlich bis zu zehn Jahre. Bei den Berufsunfähigkeitsversicherungen sind es in der Regel nur die vergangenen fünf Jahre.

Die Verbraucherzentralen raten von den Krebsversicherungen nicht nur aus diesem Grund eher ab. Für viele Experten sind sie “Geldmacherei”, da sie selten zahlen und meistens nicht den Verdienstausfall kompensieren, der eintreten kann.

Tina Groll

Tina Groll arbeitet hauptberuflich als Redakteurin bei ZEIT ONLINE im Ressort Politik & Wirtschaft. 2008 zeichnete sie das Medium Magazin als eine der “Top 30 Journalisten unter 30 Jahren“ aus. Sie ist Mitglied im Deutschen Presserat sowie als Vorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union tätig. Als Autorin von WIR SIND DER WANDEL beschäftigt sie sich mit der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Gesundheitspolitik.