Ein Notfallsanitäter erhält nach Feierabend eine Dienstplanänderung per SMS. Darauf reagiert er nicht und erhält eine Abmahnung. Zu Recht?
Ein Notfallsanitäter ist Vollzeit angestellt. Im Betrieb existiert eine Betriebsvereinbarung, die unter anderem auch regelt, dass die Beschäftigten im Bereitschaftsdienst kurzfristig einspringen müssen. Die Information darüber erhalten sie bis spätestens 20 Uhr des Vortages vor Dienstbeginn. Das erfolgt per Telefon oder SMS, auch kann der Dienstplan jederzeit im Internet eingesehen werden.
Am 6. April 2021 beendet der Notfallsanitäter um 19 Uhr seinen Dienst. Sein nächster Arbeitstag ist im Dienstplan für den 8. April eingetragen, zusätzlich mit dem Hinweis „unkonkreter Springerdienst“. Am 7. April teilt sein Arbeitgeber ihm um 13.27 Uhr per SMS mit, dass sein Dienst am 8. April um 6.00 Uhr beginnt. Eine SMS erhält er, weil er telefonisch nicht zu erreichen ist. Am 8. April ruft der Notfallsanitäter um 7.30 Uhr beim Arbeitgeber an, um sich zu seinem ursprünglichen Dienst zu melden. Da für ihn mittlerweile ein Beschäftigter aus der Rufbereitschaft eingesprungen ist, wird er nicht mehr benötigt. Allerdings stuft sein Arbeitgeber sein Verhalten als unentschuldigtes Fehlen ein. Auch erhält er eine Ermahnung und werden ihm elf Arbeitsstunden von seinem Arbeitszeitkonto abgezogen.
Recht auf Unerreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeit
Ein ähnlicher Ablauf ereignet sich am 15. September 2021. Für den Tag ist der Notfallsanitäter im Dienstplan als „Springer kurzfristig“ eingetragen. Am 10. September schränkt sein Arbeitgeber den Arbeitseinsatz auf den „Tagdienst“ ein. Weil der Notfallsanitäter am 14. September frei hat, erhält er an diesem Tag um 9.15 Uhr von seinem Arbeitgeber eine SMS und eine E-Mail mit der Information, dass sein Dienst am 15. September um 6.30 Uhr beginnt. Telefonisch war er wieder nicht erreichbar. Der Notfallsanitäter meldet sich am 15. September um 7.30 Uhr telefonisch zu seinem ursprünglichen Dienst und tritt diesen um 8.26 Uhr an. Da sein Dienststart um 6.30 Uhr war, zieht sein Arbeitgeber ihm 1,93 Stunden von seinem Arbeitskonto ab. Ferner spricht er ihm eine Abmahnung für das unentschuldigte Fehlen von 6.30 bis 8.26 Uhr aus.
Dagegen wehrt sich der Notfallsanitäter und zieht vor das Arbeitsgericht Elmshorn, das seine Klage jedoch abweist (Az.: 5 Ca 1023a/21). Für die Richterinnen und Richter ist sowohl der Abzug der Stunden als auch die erteilte Abmahnung gerechtfertigt. Dagegen legt der Notfallsanitäter Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein ein (Az.: 1 Sa 39 öD/22) – und bekommt Recht. Die Begründung: Der Notfallsanitäter war nicht verpflichtet, in seiner Freizeit dienstliche Nachrichten anzunehmen. Eine eventuelle Dienstplanänderung geht ihm somit erst bei dem ursprünglichen Dienstbeginn zu. Denn Beschäftigten steht in ihrer Freizeit ein Recht auf Unerreichbarkeit zu. Ihr Persönlichkeitsrecht gewährt ihnen, entscheiden zu können, für wen sie in ihrer Freizeit erreichbar sind. Dementsprechend muss der Arbeitgeber die Stundenkürzung und die Abmahnung zurücknehmen.
Dienstplanänderung per SMS auch in der Freizeit
Gegen dieses Urteil wehrt sich der Arbeitgeber und zieht vor das Bundesarbeitsgericht (BAG), was das LAG-Urteil aufhebt und das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn für rechtmäßig erklärt (Az.: 5 AZR 349/22). Die Begründung des BAG: Durch die Betriebsvereinbarung war der Notfallsanitäter verpflichtet, die Information zum Arbeitsantritt am folgenden Tag auch in seiner Freizeit und auf seinem privaten Mobiltelefon zur Kenntnis zu nehmen.
Doch Vorsicht: Das gilt nicht grundsätzlich für alle Beschäftigtengruppen, sondern nur für solche, bei denen flexible Springerdienste üblich sind – und wo es vertraglich geregelt ist.
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