Aktuelle Daten der Bundesagentur für Arbeit zeigen: Der Arbeitsmarkt schwächt sich ab, Industriejobs stehen auf der Kippe. Tina Groll zeigt, welche Arbeitsplätze verschwinden – und wo in 20 Jahren neue entstehen.
Der September 2025 bringt gemischte Nachrichten. Die Arbeitslosenzahlen sinken dank der üblichen Herbstbelebung um 70.000 auf 2,955 Millionen, die Quote fällt auf 6,3 Prozent. Doch im Vergleich zum Vorjahr gibt es 148.000 zusätzliche Arbeitslose, während die Zahl der offenen Stellen auf 630.000 zurückgeht – ein Zeichen für gedämpfte Nachfrage. Gleichzeitig kündigen große Industrieunternehmen Stellenstreichungen an: Lufthansa will bis 2030 rund 4.000 Verwaltungsjobs abbauen, unterstützt durch Automatisierung und KI. Volkswagen plant, bis 2030 insgesamt 35.000 Stellen in Deutschland sozialverträglich zu streichen, Bosch weitere 13.000. Besonders betroffen sind Standorte in Baden-Württemberg. Siemens reduziert weltweit 5.600 Stellen, davon 2.600 in Deutschland. Diese Entwicklungen zeigen: Der Arbeitsmarkt bleibt stabil, steht aber vor einem tiefgreifenden Umbau.
Ein Blick auf die Details offenbart Widersprüche. Die Unterbeschäftigung sinkt saisonal auf 3,582 Millionen, liegt aber über dem Vorjahreswert. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten war im Juli leicht rückläufig, bleibt aber im Jahresvergleich positiv. Destatis meldet für August 45,8 Millionen Erwerbstätige – saisonbereinigt ein minimaler Rückgang, im Vorjahresvergleich Stagnation. Frühindikatoren wie das IAB-Arbeitsmarktbarometer zeigen mit 100,7 Punkten eine verhalten optimistische Perspektive. Kurz: Keine Krise, aber auch kein Aufschwung. In der Industrie treibt Rationalisierung den Stellenabbau voran.
Der kurze Abschwung, der lange Umbau
Die Branchenmeldungen verdeutlichen den Wandel. Lufthansa setzt auf Effizienzgewinne durch Digitalisierung und KI, der Abbau betrifft vor allem Verwaltung und IT. Volkswagen streicht über die Dekade 35.000 Stellen, vor allem durch Altersteilzeit und Abfindungen. Bosch reagiert auf den Druck in der Mobilitätssparte und reduziert bis 2030 weitere 13.000 Jobs, vor allem in Feuerbach und Schwieberdingen. Siemens kürzt Stellen in der Automationssparte und im Bereich E‑Mobility-Ladetechnik. Diese Maßnahmen sind keine punktuellen Sparprogramme, sondern Teil eines strukturellen Wandels, getrieben von schwächerer globaler Nachfrage, Technologiewechseln und demografischem Druck.
Wie viele Jobs verschwinden? Die Antwort ist ernüchternd und differenziert. Der industrielle Stellenabbau ist real und trifft und vor allem die Autoindustrie. Laut EY-Industriebarometer gingen binnen eines Jahres 114.000 Industriearbeitsplätze verloren, davon 51.500 in der Autoindustrie. IG Metall warnt vor weiteren Verlusten in Zuliefernetzwerken, etwa 5.000 Stellen im Raum Heilbronn-Franken bis 2029. Handelskonflikte und steigende Kosten belasten zusätzlich: BMW meldete im ersten Halbjahr 2025 einen Gewinneinbruch, andere Hersteller noch stärkere Einbußen.
Technologien verdrängen Tätigkeiten, schaffen aber auch neue
Doch der Abbau in der Industrie bedeutet nicht zwangsläufig einen Rückgang der Gesamtbeschäftigung. Erstens entstehen Jobs in Dienstleistungen, Pflege, Bildung, IT und Baunebenbranchen. Zweitens bleibt die Erwerbstätigkeit mit 45,8 Millionen Menschen nahe Rekordniveau. Drittens wirken Stellenstreichungen oft zeitverzögert und sozialverträglich. In den nächsten Jahren werden in der Industrie Zehntausende gut bezahlte Jobs abgebaut, ohne dass die Gesamtbeschäftigung zwingend sinkt. Der Arbeitsmarkt wandelt sich: Löhne, Qualifikationen und Tarifbindungen verschieben sich.
Eine zweite Dynamik treibt den Wandel: Technologie, insbesondere KI. Laut ifo-Institut erwarten 27,1 Prozent der Unternehmen in den nächsten fünf Jahren Stellenabbau durch KI, vor allem in der Industrie. Lufthansa nennt KI als Hebel für den Verwaltungsabbau. Historisch verdrängen Technologien Tätigkeiten, schaffen aber auch neue. Wertschöpfung wandert in digitale, wissensintensive Bereiche wie Software und Systemintegration – Felder, in denen Deutschland noch aufholen muss.
Der Arbeitsmarkt 2045: Knappheit, Verschiebungen, Chancen
Konjunkturell bleibt der Ausblick gemischt. Die ifo-Herbstprognose rechnet 2025 mit 155.000 zusätzlichen Arbeitslosen und einer Quote von 6,3 Prozent, sieht aber für 2026 und 2027 sinkende Quoten und steigende Erwerbstätigkeit. Die Bundesregierung will Arbeitsanreize erhöhen, Bürokratie abbauen und Fachkräftezuwanderung erleichtern. Kurzfristig bleibt der Arbeitsmarkt schwach, mittelfristig stabilisiert er sich – vorausgesetzt, Investitionen und Reformen greifen.
Die Demografie prägt die Zukunft. Bis 2039 gehen 13,4 Millionen Babyboomer in Rente – ein Drittel der heutigen Erwerbspersonen. Das führt nicht zu Massenarbeitslosigkeit, sondern zu Arbeitskräfteknappheit. Manche Berufe verschwinden, andere finden keine Bewerber:innen. Großstädte und wirtschaftsstarke Regionen wachsen, ländliche Räume schrumpfen. Die OECD warnt, dass Alterung das Arbeitskräftepotenzial drückt. KI und Digitalisierung müssen produktivitätssteigernd und fair eingesetzt werden.
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Die Sektorenkarte 2045 wird anders aussehen
Pflege und Gesundheit kämpfen mit strukturellen Lücken: Prognos erwartet, dass 35 Prozent des Pflegebedarfs ungedeckt bleiben, wenn nicht gegengesteuert wird. Klimaneutralität schafft langfristigen Bedarf in Energie und Bau. Wissensintensive Dienste und Software bieten Wachstumschancen, wenn Regulierung und Kapital mobilisiert werden. Die Industrie bleibt wichtig, wird aber schlanker und automatisierter. Kompetenzen verschieben sich in Richtung Elektronik, Software und Leichtbau. Re- und Upskilling sowie interne Versetzungen können den Wandel sozialverträglich gestalten.
Wie viele Jobs verschwinden? Drei Kräfte wirken: Technologische Fortschritt automatisiert Tätigkeiten, schafft aber auch neue. Die Demografie verknappt das Arbeitsangebot. Die Transformation errichtet neue Beschäftigungspole. Langfristig wird die Industrie weniger arbeitsintensiv, während in Pflege, Bildung und grünen Technologien neue Jobs entstehen. Entscheidend ist die Passung: Fachkräfte müssen rechtzeitig qualifiziert werden.
Nüchterne Diagnosen mit Zuversicht und Tatkraft verbinden
Die Politik hat Stellschrauben identifiziert: Erwerbsbeteiligung erhöhen, Arbeitszeitpotenziale heben, Weiterbildung entbürokratisieren, Migration beschleunigen. Sozialpartnerschaft und Tarifpolitik spielen eine Schlüsselrolle. Großkonzerne wie Volkswagen und Lufthansa zeigen, wie Sozialpläne und Weiterbildung den Wandel abfedern können.
Bleibt die Frage: Verschwinden „gute“ Jobs? Ja, wenn „gut“ für hochbezahlte, tariflich abgesicherte Industriearbeitsplätze steht. Aber „gut“ wandert: In Pflege, IT, Netzinfrastruktur und klimaneutrale Prozesse entstehen anspruchsvolle Berufe. Voraussetzung ist, dass Planungszeiten verkürzt, Weiterbildung gefördert und Migration erleichtert werden. Andernfalls droht eine doppelte Lücke: fehlende Arbeitskräfte und Verunsicherung.
Am Ende des Jahres 2025 wird es darauf ankommen, nüchterne Diagnosen mit Zuversicht und Tatkraft zu verbinden. Der Arbeitsmarkt ist angeschlagen, aber nicht krank. Die Ankündigungen von Lufthansa, Volkswagen und Bosch skizzieren keinen Untergang, sondern einen Umbau. Wer jetzt in Weiterbildung, Zuwanderung und Innovation investiert, sorgt dafür, dass aus dem Verschwinden von Jobs das Entstehen von Arbeit wird.

