Simone Lis bringt deutschen CEOs das Silicon Valley-Mindset näher und vernetzt sie mit dortigen Start-ups. Weil die CEOs aber gar nicht so schnell einfliegen können, wie sich dort die Technik weiterentwickelt, hat sie ein Lernprogramm entwickelt.
Bis zu ihrem 30. Lebensjahr verläuft die Karriere von Simone Lis stringent. Doch dann kündigt die Betriebswirtin ihren Job, sucht sich einen neuen und stellt dort nach nur sechs Wochen fest, dass das nicht passt. Sie kündigt erneut und tritt eine neue Position an. Nach nur sechs Monaten ist auch hier Schluss. Die Finanzkrise 2010 sorgt für das Aus des Unternehmens. Simone Lis hat nun einen Lebenslauf, der für die meisten Unternehmen nicht stringent genug ist. Für sie ist Lis eine Job-Hopperin. Als sie zu keinem Job-Interview mehr eingeladen wird und auch noch ihre Partnerschaft in die Brüche geht, beschließt Lis, eine Auszeit zu nehmen.
Sie macht einen Roadtrip durch die USA und lernt in San Francisco auf einer Party die Airbnb-Gründer kennen – der Start ihrer Karriere in den USA. Denn im Gegensatz zu deutschen Führungskräften sind die Gründer von Airbnb sehr an ihren beruflichen Höhen und insbesondere Tiefen interessiert. Auch finden sie die Deutsche mutig, weil sie als Frau allein unterwegs ist. Und obwohl sie damals mit ihren 34 Jahren schon fast zum alten Eisen gehört, bekommt Lis den Interims-PR-Job bei Airbnb – ohne auch nur ihren Lebenslauf vorzeigen zu müssen. Sie ist mitverantwortlich für die erste internationale Expansion nach Deutschland.
Heute lebt die Deutsche in Los Angeles und vernetzt mit MatchlabN deutsche Unternehmen mit Start-ups aus dem Silicon Valley. Mit Future-Ready Woman, ein Fortbildungsprogramm, das Lis während der Pandemie entwickelt hat, unterstützt sie Frauen dabei, ihre limitierenden Glaubenssätze bezüglich der Technologie zu lösen.
Frauen haben etwas zu sagen, sie müssen allerdings den Raum erhalten, das auch zu tun! Diesen bieten wir mit unserem Format DIE CHEFIN-TALK.
Hier laden wir Frauen ein, mit uns über ihr Thema zu sprechen.
Wir sind der Wandel: Sie vernetzen deutsche Unternehmen mit Start-ups aus dem Silicon Valley. Wie gehen Sie dabei vor?
Simone Lis: Das Netzwerk im Silicon Valley ist eines der weltweit am besten vernetzten Technologie- und Innovationsökosysteme. In einem Radius von 100 Kilometern sind Politik, Technologieunternehmen, Start-ups, Investor:innen und Wissenschaftler:innen vernetzt. Diese Nähe ermöglicht den Austausch von Ideen, Fachwissen und Ressourcen, um Innovationen voranzutreiben. Und das möchten deutsche Führungskräfte vor Ort erleben.
Für diesen Austausch bereite ich die Treffen als “Innovation Journeys” strategisch vor. Ich erstelle einen Fragenkatalog für das deutsche Unternehmen. Recherchiere, wer im Silicon Valley spannend sein kann. Und pitche bei den Start-ups für die deutschen Unternehmen. Weil sich die meisten Start-ups nicht mit der deutschen Unternehmenslandschaft auskennen, haben vor allem auch kleinere Unternehmen die Chance auf einen Kontakt.
„Amerikaner wissen, wie man ein dynamisches Ökosystem für Start-ups aufbaut“
Wir sind der Wandel: Welchen Vorteil haben die amerikanischen Start-ups davon?
Lis: Im Silicon Valley nehmen die meisten Gründer:innen nur dann an Treffen teil, wenn sie einen Nutzen haben. Daher organisiere und moderiere ich die Meetings, damit alle Beteiligten tatsächlich davon profitierten. Der Nutzen für das Start-up kann eine strategische Partnerschaft, eine Investition, die Neukundengewinnung, ein Branchenfeedback oder die Erweiterung ihres Netzwerks sein.
Wir sind der Wandel: Was erhoffen sich deutsche Unternehmen?
Lis: Amerikaner wissen, wie man ein dynamisches Ökosystem für Start-ups aufbaut: günstige Rahmenbedingungen für Risikokapital, die Förderung unternehmerischer Bildung sowie die Vernetzung von Start-ups mit etablierten Unternehmen. Auch sind die Amerikaner wirklich gut im Storytelling, im Großdenken, in der Darstellung und im Netzwerken. In Deutschland hingegen werden Ideen oft mit Begründungen wie “hatten wir schon“ oder „funktioniert nicht” im Keim erstickt. Es herrscht wenig Experimentierfreude, da man keine Fehler machen will. Perfektionismus wird großgeschrieben.
Während also hier durch das Kommunizieren und die schnelle Veröffentlichung Ideen zügig vorangetrieben werden, setzt Deutschland zuerst Regeln auf, obwohl man noch gar nicht alle Dinge erfasst hat, die es zu regeln gilt. Diesen positiven Silicon Valley-Mindset wollen die deutschen CEOs live erleben.
Wir sind der Wandel: Und das reicht, um Innovationen im gesamten Unternehmen auszurollen?
Lis: Um Innovationen vorantreiben zu können, müssen nicht nur CEOs über gewisses Know-how verfügen, sondern Teams insgesamt. Natürlich ist es unrealistisch, die gesamte Belegschaft ins Silicon Valley einfliegen zu lassen. Ferner entwickelt sich die Technik immer rasanter. So schnell kann man gar nicht ins Silicon Valley einfliegen, um mit diesem Tempo mithalten zu können. Wir brauchen also eine andere Art zu lernen. Eine, die schneller und smarter ist. Daher habe ich auf Grundlage meine Digital Fluency Flywheel-Methode, die ich für die Arbeit mit den CEOs nutze, dass Community basierte Fortbildungsprogramm Future-Ready Woman entwickelt.
„Meine Digital Fluency Flywheel-Methode ist ein transformativer Lernpfad“
Wir sind der Wandel: Was genau ist die Digital Fluency Flywheel-Methode?
Lis: Durch die Arbeit mit Airbnb und anderen Innovatoren im Silicon Valley hat sich mein Mindset verändert. Ich habe meine Angst vor Technologie und Tools abgelegt. Ich denke größer und erkenne Probleme, die technologisch gelöst werden können. Ich experimentiere, suche nach Lösungen und lerne kontinuierlich. Durch die Suche nach Gleichgesinnten habe ich mir ein Netzwerk aus Expert:innen und Innovator:innen aufgebaut, die alle daran glauben, dass wir durch den Austausch schneller zum Ziel kommen. Diese Eigenschaften sind die Basis des Digital Fluency Mindsets.
Es ist vergleichbar mit dem Erlernen einer neuen Sprache: Zuerst muss man die Vokabeln üben und lernen. In unserem Beispiel wären das die Technologie und Tools, die derzeit verfügbar sind (die Digital Literacy). Beherrscht man die, kann man anfangen, Wörter kreativ und mit Empathie zu etwas Neuem zu kombinieren (die Digital Fluency). Dabei geht es weit über digitale Fähigkeiten hinaus und wird erweitert durch “Human Power Skills” wie Neugierde, Kreativität und kontinuierliches Lernen.
Wir sind der Wandel: Was ist der Unterschied zu herkömmlichen Methoden?
Lis: Schaut man sich die Fortbildungsprogramme von Unternehmen an, gibt es entweder Kurse, die sich auf Hard Skills oder auf Soft Skills konzentrieren. Kein Programm aber kombiniert beide Skillsets. Meine Digital Fluency Flywheel-Methode ist ein transformativer Lernpfad, der die digitalen Skills und die Human Power Skills miteinander verbindet und trainiert.
Fehlt Beschäftigten die Motivation, sich mit neuen Technologien auseinanderzusetzen, oder sind sie zu ängstlich, sich diesen zu stellen, nützen die besten Programme nichts. Damit sie die treibende Kraft hinter der digitalen Entwicklung sein und die Technologie als leistungsstarkes Werkzeug nutzen können, müssen sie zunächst motiviert werden, ihre persönlichen und beruflichen Ziele erreichen zu wollen. Und genau das erreiche ich durch mein Fortbildungsprogramm Future-Ready Woman.
„Am Anfang steht die Selbstreflexion“
Wir sind der Wandel: Was macht Future-Ready Woman anders?
Lis: Zum einen setze ich durch die Community auf eine kollektive Intelligenz. Damit sichere ich die Aktualität sowie die Diversität (wenn auch nicht bezüglich des Geschlechts). Zum anderen berücksichtige ich die individuellen Wünsche der Teilnehmerinnen. Denn ich identifiziere zunächst bei jeder ihre(n) Schwerpunkt(e). Anschließend definieren wir gemeinsam ein Arbeitsprojekt mit einer zukunftsgerichteten Fragestellung. Weil ich so individuell auf den Veränderungswillen und -wunsch jeder Teilnehmerin eingehen kann, hat auch jede ihre ganz individuelle Lernkurve.
Dabei steht am Anfang die Selbstreflexion: Die Teilnehmerinnen fokussieren sich auf ihre berufliche Leidenschaft und auf ein Projekt, das sie umsetzen möchten. Das heißt, ich motiviere die Teilnehmerinnen über ihre Leidenschaft; und verbinde diese dann mit der Technologie. Würde ich nicht mit der Leidenschaft, sondern mit der Technologie starten, würde ich die Frauen verlieren, die durch ihre Glaubenssätze limitiert sind.
„Die Pandemie hat gezeigt, dass solche Krisen vor allem Frauen zurückwerfen“
Wir sind der Wandel: Warum richtet sich Future-Ready Woman nur an Frauen und nicht auch an Männer?
Lis: Future-Ready Woman ist grundsätzlich für alle geeignet. Es ist aktuell die beste Zeit, um Neues auszuprobieren, denn noch nie standen die technischen Möglichkeiten so gut zur Verfügung wie heute. Das heißt, jede und jeder kann zum Innovationsagent:in werden. Die Praxis zeigt jedoch, dass vor allem Frauen durch limitierende Glaubenssätze bezüglich der Technologie blockiert sind. Auch hat die Pandemie gezeigt, dass solche Krisen vor allem Frauen zurückwerfen. Und wenn wir mehr Frauen in Führungspositionen möchten, ist es jetzt an der Zeit, sie gezielt zu fördern. Daher möchte ich Frauen motivieren, digitaler zu denken und einen proaktiven Mindset im digitalen Bereich zu entwickeln. Denn dann halten sie mit den schnellen technologischen Entwicklungen Schritt und können ihre Karriere gezielt vorantreiben.
Wir sind der Wandel: Sehen Sie den Bedarf für Future-Ready Woman eher in den USA oder in Deutschland?
Lis: In Deutschland herrscht bezüglich der Technologie ein starkes Schwarz-Weiß-Denken: Entweder wird Technologie glorifiziert oder kritisiert, ohne dass die Nuancen und komplexen Auswirkungen angemessen berücksichtigt werden. Das aber funktioniert nicht mehr. Jede und jeder muss bezüglich der Technologie auf dem neuesten Stand sein und sich mit den Chancen und Risiken einzelner Technologien auseinandersetzen, um mit der Veränderungsgeschwindigkeit in unserer Arbeitswelt mithalten zu können. Und hier sehe ich in Deutschland Nachholbedarf.