Wir reden das Verhalten toxischer Menschen am Arbeitsplatz bis heute als zielstrebig, durchsetzungsfähig, leistungsorientiert und straffe Führungskultur schön. Dabei können sie enorme Schäden in Wirtschaft und Gesellschaft anrichten.
Ein Gastbeitrag von Birte Vogel
Immer weniger Fachkräfte tolerieren eine toxische Arbeitsatmosphäre und verlassen Unternehmen, die dieses Problem nicht oder nicht konsequent angehen. Was aber ist toxisches Verhalten? Woran erkennt man toxische Kolleg:innen, Mitarbeitende und Führungskräfte? Und was kann man gegen ihr Verhalten ausrichten?
Was ist toxisches Verhalten?
Toxisches Verhalten steht für bösartiges, zermürbendes, gefährliches, schädliches und zerstörerisches Verhalten. Dieses Verhalten ist also nicht einfach nur schwierig, nervig und anstrengend. Es ist sehr viel mehr – und es hat Methode. Toxisches Verhalten schadet vielen, manchen sogar für den Rest ihres Lebens. Es dient dabei nur einem einzigen Menschen: dem toxischen Menschen selbst. Seinem eigenen Vorteil und seinen Zielen ordnet er fast alles unter und geht dafür teils enorme Risiken ein. Es ist ihm oft egal, dass dabei Belegschaft und/oder Unternehmen zu Schaden kommen oder kommen könnten.
Auf die Maschen dieser Menschen fallen die meisten herein. Denn toxische Menschen sind nicht immer notorische Selbstdarsteller, die man leicht erkennen und vermeiden könnte. Viele von ihnen wissen sehr genau, wie sie möglichst unauffällig handeln müssen, um nicht so bald aufzufliegen. Auch deshalb müssen sie selten Konsequenzen für ihr schädigendes Verhalten fürchten.
Woran erkennen Sie toxische Menschen am Arbeitsplatz?
Die Methoden, mit denen diese Menschen arbeiten, sind häufig die gleichen, ob es sich bei ihnen um Narzisst:innen, Psychopath:innen oder andere handelt. Ihr Verhalten folgt meist sehr ähnlichen Mustern. Hier ist eine Auswahl einiger ihrer wichtigsten Methoden:
Love-Bombing
Der englische Begriff “Love-Bombing” bedeutet, jemanden mit Freundlichkeit, Zuneigung, Liebe zu überwältigen und zu entwaffnen. Das heißt bei toxischen Menschen, dass die Anfangsphase meist unauffällig bis äußerst positiv verläuft. Sie sind freundlich, sie machen gute Stimmung, und sie scheinen gute Arbeit zu leisten. Schnell sind sie mit den internen Abläufen genauso gut vertraut wie mit den Geheimnissen von Betrieb und Belegschaft. Sie bringen sich ein und erwecken den Eindruck, dass die Firma mit ihnen einen echten Glücksgriff getan hat.
Gaslighting
Doch während man sich daran noch erfreut, haben sie schon längst mit dem Gaslighting begonnen. Nach dem Film “Gaslight” (dt. “Das Haus der Lady Alquist”) benannt, ist dies eine Methode, mit der ein toxischer Mensch die Wahrnehmung einer Person so sehr ins Wanken bringt, dass diese immer stärker verunsichert ist und bald ihrem Gedächtnis und ihrem eigenen Urteil nicht mehr traut. Stattdessen orientiert sie sich an den Aussagen und dem Urteil des toxischen Menschen, der sie dadurch nach Gutdünken für seine Zwecke manipulieren kann.
Kritik, Abwertung, Projektion
Mit Hilfe wiederholter, oft unberechtigter oder überzogener Kritik, Abwertung und (öffentlicher) Demütigung untergraben toxische Menschen das Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl ihres Opfers. Hinterfragt es das Handeln dieser Menschen, bezeichnen sie es als “paranoid”, “geisteskrank” oder behaupten, es gehöre “in die Psychiatrie”.
Projektion bedeutet, das eigene Handeln auf das Opfer zu projizieren, um es weiter zu verwirren und zu verunsichern. Ein zum Beispiel ständig zu spät kommender toxischer Mensch sagt zu seiner stets pünktlichen Kollegin, sie sei immer unpünktlich. Diese Aussage ist so absurd, dass die Projektion theoretisch leicht zu erkennen ist – jedoch meist nur für jene, die noch nicht durch Gaslighting u. a. Methoden verwirrt und zermürbt wurden. Dennoch wird sie aufgrund ihrer Absurdität meist fälschlich als harmloser Scherz eingestuft und nicht weiter ernst genommen.
Isolation
Kleine Bösartigkeiten, mit einem Lächeln wie nebenbei fallengelassen, Lügen, Unterstellungen, falsche Schuldzuweisungen und das Verbreiten erfundener Gerüchte tragen dazu bei, eine Person von ihrem bislang unterstützenden Umfeld zu isolieren. Was am Anfang scherzhaft klingen mag, wird spätestens dann bitterer Ernst, wenn sich klare Lager bilden und das Opfer Schritt für Schritt immer weiter ausgeschlossen wird. Eine deutliche Bevorzugung anderer signalisiert dem ins Abseits geschobenen Opfer außerdem, dass es kaum Chancen hat, dort wieder herauszukommen. Wer sich mit ihm solidarisiert, erfährt häufig ein ähnliches Schicksal.
Einschüchterung
Durch Blicke, schneidende Bemerkungen, Anbrüllen, Ausschluss aus Meetings, Vorenthalten von Informationen, kleinliche Überprüfung der Arbeitsergebnisse und durch das Verschwindenlassen wichtiger Dokumente und Dateien wird das Opfer noch weiter eingeschüchtert. Genauso wie durch Behauptungen, das Opfer sei selbst schuld, weil es vergesslich, schlampig oder unfähig sei. Nicht zuletzt drohen toxische Menschen ihrem Opfer offen oder unterschwellig, dass sie (z. B. durch die ihnen in der Love-Bombing-Phase anvertrauten Geheimnisse oder durch frei erfundene Fehler und manipulierte Versäumnisse) seinen Ruf schädigen oder ihm jederzeit kündigen können.
Bestrafung und Rache
Wer nicht so funktioniert, wie toxische Menschen es wollen, wird häufig durch tagelanges oder länger anhaltendes Ignorieren und Schweigen, durch Anbrüllen, Beschwerden, Strafarbeiten oder Ähnliches gemaßregelt. Für konstruktive Kritik oder Aufbegehren gegen ihre Methoden rächen sie sich oft – durch Beschädigung von Eigentum, Strafversetzung, Degradierung, Nichtverlängerung von Verträgen, Rufschädigung u. a.
Flying Monkeys, Enabler:innen
Toxische Menschen könnten nie so zerstörerisch sein, würden sie alleine handeln müssen. Deshalb bedienen sie sich immer auch anderer Leute, die sie – wie die “Flying Monkeys” (dt. “Geflügelten Affen”) aus dem “Zauberer von Oz” – aussenden, damit die das Opfer durch vermeintlich “gut gemeinte” Ratschläge wieder einnorden. Sie können außerdem immer auf eine stumme Mehrheit zählen, die ihr Verhalten überhaupt erst durch Wegschauen und Schönreden ermöglicht: die Enabler:innen (engl. to enable = dt. befähigen).
Indikatoren für toxisches Verhalten in Unternehmen
Selbst wenn Sie die einzelnen Methoden nicht klar identifizieren können, gibt es einige Indikatoren, die auf eine toxische Arbeitsatmosphäre hinweisen können. Dazu gehören wiederholt unstimmige Zahlen und Vorgänge, mysteriös verschwundene Akten, Mitarbeitende, die sich sehr verändert haben, Mobbing und ein erhöhter Krankenstand.
Beispielsweise fallen immer mehr Menschen u. a. aufgrund von Depressionen und Ängsten aus, wie die KKH 2023 in einer Untersuchung feststellte. Gerade dies kann ein Symptom für den zu starken Einfluss toxischen Verhaltens am Arbeitsplatz sein. Mitarbeitende fühlen sich auch zunehmend dauerhaft gestresst. Und Selbstsucht, Machtkämpfe, Grabenkriege, Intrigen, Mauscheleien, Lug und Trug wuchern in Unternehmen, die toxischen Menschen keinen Riegel vorschieben. Deshalb sollten Ihnen auch häufige Personalwechsel zu denken geben.
Was können Sie gegen toxische Menschen am Arbeitsplatz unternehmen?
Zunächst einmal sollten Sie wissen, dass toxische Menschen nicht auf einen ganz normalen Umgang ansprechen, wenn es um ihr schädliches Verhalten geht. Mit Fairness und Gesprächen auf Augenhöhe bewirken Sie deshalb keine Veränderung. Toxische Menschen haben ganz eigene Regeln, denen Sie klar und konsequent begegnen sollten.
Als betroffene:r Mitarbeiter:in mit toxischem Verhalten umgehen
- Akzeptieren Sie, dass der toxische Mensch sich nicht ändern wird.
- Vertrauen Sie Ihrer Wahrnehmung und Ihren Erfahrungen.
- Bleiben Sie immer ruhig, sachlich und bei den Fakten.
- Lassen Sie sich nicht auf Endlosdiskussionen ein. Erklären und rechtfertigen Sie sich einmal, aber nicht öfter.
- Setzen Sie diesem Menschen konsequent klare Grenzen.
- Führen Sie Buch über die Vorkommnisse: Was genau ist vorgefallen? Was wurde gesagt (möglichst im Wortlaut)? Wer kann das bezeugen? Wen haben Sie darüber informiert? Was geschah danach? Wie ging es Ihnen mit all dem? Verwahren Sie die Aufzeichnungen an einem Ort, zu dem der toxische Mensch keinen Zugang hat.
- Melden Sie sein grenzüberschreitendes, schädigendes Verhalten Ihren Vorgesetzten oder dem Betriebsrat.
- Akzeptieren Sie nicht, aus Ihrer Abteilung entfernt zu werden, wenn Ihnen dies irgendeinen Nachteil bringt.
- Achten Sie besonders gut auf sich! Stärken Sie sich und ihr Selbstwertgefühl durch vertrauensvolle Freundschaften jenseits der Arbeit, Lieblingsaktivitäten, eine gute Ernährung und viel Bewegung in der Natur oder Sport.
- Der Preis für eine Zusammenarbeit mit toxischen Menschen (z. B. reduzierte Lebensfreude, Karriereknick oder chronische Krankheit) ist meist zu hoch. Kündigen Sie, bevor es Ihnen noch schlechter geht.
Die Journalistin Birte Vogel ist Chefredakteurin des Informationsportals Toxiversum, dass sich mit toxischem Verhalten, toxischer Gewalt und wie man sie erkennen und sich davor schützen kann beschäftigt.
Als Führungskraft mit toxischem Verhalten umgehen
- Informieren Sie sich über die Methoden toxischer Menschen, um sie rechtzeitig ausmachen zu können.
- Akzeptieren Sie dieses Verhalten nicht. Setzen Sie toxischen Menschen konsequent und nachhaltig klare Grenzen.
- Informieren Sie sich darüber, welche oft gravierenden Folgen toxisches Verhalten für die Opfer haben kann.
- Hören Sie den Opfern wertfrei und wohlwollend zu. Sprechen Sie ihnen ihre Erfahrungen nicht ab.
- Unterstützen und stärken Sie die Opfer. Aber versprechen Sie ihnen nichts, was Sie am Ende nicht halten können oder wollen.
- Schützen Sie die Opfer vor dem Verhalten des toxischen Menschen, indem sie ihn, nicht die Opfer, aus der Abteilung entfernen.
- Sammeln Sie Beweise und nutzen Sie frühzeitig alle Ihnen zur Verfügung stehenden Mittel, um größeren Schaden von Belegschaft und Firma abwenden zu können. Denn toxische Menschen verändern ihr Verhalten auf Dauer so gut wie nie.
- Und nicht zuletzt: Verhalten Sie sich selbst nicht toxisch.
Selten sind es die ganz großen Skandale und Gerichtsprozesse, durch die wir von toxischen Menschen erfahren. Viel häufiger finden wir sie in unserem privaten Umfeld und am Arbeitsplatz, wo sie oft fast ungehindert agieren können. Weil sie ja vermeintlich nur “zielstrebig”, “durchsetzungsfähig” und “leistungsorientiert” sind. Und weil sie teilweise (meist auf dem Rücken anderer) Ergebnisse vorweisen können.
Es wird Zeit, gegenzurechnen, welche Schäden sie dabei anrichten. Und es wird Zeit für eine neue Führungskultur, die weniger “straff” ist als darauf ausgerichtet, die Potenziale aller Mitarbeitenden bestmöglich zu fördern. Toxisches Verhalten aber fördert nur eins: den toxischen Menschen selbst.