Tief verankerte Glaubenssätze bremsen Frauen aus

Frau sitzt auf Mauer und schaut auf Skyline

Viele Frauen stoßen im Berufsleben auf unsichtbare Barrieren, die oft durch starken inneren Druck entstehen. Tief verankerte Glaubenssätze wie „Ich bin nicht gut genug“ bremsen sie aus und hindern sie daran, ihr Potenzial zu entfalten. Doch wie lassen sich diese mentalen Hürden überwinden?

In ihrem Buch Women at work beleuchtet die Psychologin Silke Rusch die Arbeitsrealität von Frauen in Deutschland. Sie untersucht die Herausforderungen im Berufsleben und deren Auswirkungen auf die mentale Gesundheit. Obwohl Deutschland im weltweiten Gender-Gap-Index auf Platz 7 liegt und laut Weltwirtschaftsforum 81 Prozent Gleichstellung erreicht sind, zeigt sich oft eine andere Realität.

Besonders beim Einkommen wird die Ungleichheit deutlich: Frauen verdienen durchschnittlich 18 Prozent weniger pro Stunde als Männer, in Teilzeit sogar 30 Prozent weniger. Dies betrifft vor allem Mütter, von denen 67 Prozent in Teilzeit arbeiten, während nur 9 Prozent der Väter dieses Modell wählen. Zudem arbeiten Frauen häufig in schlechter bezahlten Berufen. Pflege-, Erziehungs- und Dienstleistungsberufe, die als systemrelevant gelten, sind meist von Frauen besetzt, aber unterdurchschnittlich vergütet. Frauen leisten täglich 44,3 Prozent mehr unbezahlte Care-Arbeit als Männer. Im Schnitt verbringen sie 30 Stunden pro Woche mit unbezahlter Sorgearbeit, was einer 80-Prozent-Stelle entspricht.

Langfristige Folgen struktureller Benachteiligungen

Diese Benachteiligungen haben langfristige Folgen: Frauen erzielen im Laufe ihres Lebens nur etwa 50 Prozent des Erwerbseinkommens von Männern, was zu höherer Altersarmut führt. Jede fünfte Rentnerin ist betroffen. 2023 lag die durchschnittliche Rente von Frauen bei 900 Euro, während Männer 1.350 Euro erhielten.

Obwohl Frauen 51 Prozent der Bevölkerung ausmachen, sind nur 24 Prozent der Führungskräfte weiblich. In DAX-Vorständen liegt ihr Anteil bei 19 Prozent, während in Aufsichtsräten 37 Prozent der Mandate von Frauen besetzt sind – dank der seit 2016 geltenden gesetzlichen Frauenquote. Doch viele Unternehmen berufen gezielt nur eine Frau in den Aufsichtsrat, um die Quote zu erfüllen. Besonders auffällig ist die geringe Anzahl weiblicher CEOs – nur 2,5 Prozent der Vorstandsvorsitzenden sind Frauen. Ein kurioses Detail: Es gibt mehr DAX-CEOs mit dem Vornamen „Christian“ als weibliche Vorstandsvorsitzende insgesamt.

Erfolgreichere Unternehmen mit weiblichen Führungskräften

Irrtümer und Mythen rund ums ArbeitsrechtFrauen in Führungspositionen verlassen ihren Job häufiger als Männer. Laut einer Studie der AllBright Stiftung aus 2022 legten 15 Prozent der weiblichen Vorstandsmitglieder ihr Mandat innerhalb eines Jahres nieder. Diese Entwicklung zeigt sich auch in anderen Führungspositionen und weist auf tief verwurzelte Hindernisse und geschlechtsspezifische Erwartungen hin.

Zahlreiche Studien belegen, dass Unternehmen mit weiblichen Führungskräften oft erfolgreicher sind. Sie bieten bessere Sozialleistungen, mehr Weiterbildungsmöglichkeiten und zeigen höhere Innovationskraft. Eine Untersuchung des Credit Suisse Research Institute aus 2016 ergab, dass Unternehmen mit mehr Frauen in der Geschäftsleitung bessere Aktienkurse aufweisen. Eine McKinsey-Studie von 2018 kam zu ähnlichen Ergebnissen: Unternehmen mit hoher Gender-Diversität haben eine um 15 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, überdurchschnittlich profitabel zu sein.

Psychische Erkrankungen als zweithäufigster Grund für Fehlzeiten

Die beschriebenen Benachteiligungen belasten die mentale Gesundheit von Frauen stark. Das Robert Koch-Institut (RKI) berichtet seit 2020 von hoher psychischer Belastung in der deutschen Bevölkerung, wobei Frauen durchgehend höhere Werte aufweisen. Psychische Erkrankungen sind bei Frauen der zweithäufigste Grund für Fehlzeiten. Insgesamt machen sie fast 18 Prozent der Arbeitsunfähigkeitstage aus. Besonders betroffen sind Frauen, die regelmäßig Überstunden leisten oder zusätzliche Care-Arbeit übernehmen.

Die Deloitte-Studie „Women@Work“ aus 2024 befragte 5.000 Frauen aus zehn Ländern. Fast die Hälfte der Befragten gab an, gestresster zu sein als im Vorjahr. Nur 45 Prozent beschrieben ihre mentale Verfassung als gut oder sehr gut – bei Frauen mit regelmäßigen Überstunden sank dieser Wert auf 23 Prozent. Fast ein Viertel fühlte sich ausgebrannt, und 33 Prozent gaben an, im letzten Jahr wegen psychischer Probleme krankgeschrieben gewesen zu sein.

Fehlende Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben

Weitere Belastungen sind ungleiche Verteilung von Sorgearbeit, mangelnde Inklusion und tabuisierte Gesundheitsprobleme. Nur 26 Prozent der Frauen berichten, dass Care-Arbeit gleichmäßig mit ihren Partner:innen aufgeteilt sei. Bei der Pflege von Erwachsenen tragen Männer nur in 5 Prozent der Fälle die Hauptverantwortung. Themen wie Menstruationsbeschwerden, Menopause oder Infertilität werden am Arbeitsplatz kaum berücksichtigt: 42 Prozent der Frauen leiden während der Arbeit unter starken Periodenschmerzen oder menopausalen Beschwerden, ohne dass darauf Rücksicht genommen wird. Ein Drittel der Frauen fühlt sich unwohl, solche Themen mit Vorgesetzten zu besprechen, und jede Fünfte befürchtet negative Auswirkungen auf ihre Karrierechancen.

Die schlechte Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben führt dazu, dass viele Frauen sich beruflich umorientieren oder sogar den Arbeitsplatz wechseln. 50 Prozent der befragten Frauen suchen aktiv nach einem neuen Job oder planen, ihr Unternehmen in den nächsten ein bis zwei Jahren zu verlassen. Ein besorgniserregender Trend: 16 Prozent gaben an, ihr Unternehmen wegen Übergriffen oder Mikroaggressionen verlassen zu haben – ein Anstieg im Vergleich zum Vorjahr.


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Einfluss tief verankerter Glaubenssätze

Neben strukturellen Faktoren spielen tief verankerte Glaubenssätze eine entscheidende Rolle. Frauen wachsen oft mit Überzeugungen auf, die ihr Selbstwertgefühl und ihre beruflichen Entscheidungen unbewusst beeinflussen. Solche Glaubenssätze entstehen durch Sozialisation, familiäre Prägung und gesellschaftliche Normen. Sie bestimmen, wie Frauen ihre Fähigkeiten einschätzen, welche Karriereschritte sie wagen und wie sie mit Herausforderungen umgehen.

Ein Beispiel für die Macht von Glaubenssätzen ist das Verhalten von Frauen im Job: Während äußere Faktoren wie fehlende Kitaplätze oder gläserne Decken eine Rolle spielen, beeinflusst auch die psychologische Verarbeitung, warum Frauen sich aus bestimmten beruflichen Situationen zurückziehen oder bestimmte Positionen nicht anstreben. Frauen neigen dazu, ihre Erfolge weniger sichtbar zu machen, weniger Gehalt zu fordern und sich seltener für Führungspositionen zu bewerben.

Frauen müssen ihre Glaubenssätze hinterfragen

Rusch betont, dass gesetzliche oder strukturelle Änderungen allein nicht ausreichen. Neben Quotenregelungen, besserer Bezahlung und flexibleren Arbeitszeiten müssen auch psychologische Aspekte stärker berücksichtigt werden. Frauen müssen lernen, ihre Glaubenssätze zu hinterfragen und zu verändern, um sich beruflich und persönlich freier zu entfalten.

Um echte Gleichstellung zu erreichen, braucht es eine ganzheitliche Betrachtung der Problematik. Neben politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen ist es essenziell, die mentale Gesundheit von Frauen stärker in den Fokus zu rücken. Die drei Säulen – gesetzliche Gleichstellung, strukturelle Veränderungen und psychologische Aufarbeitung – müssen zusammengedacht werden, um nachhaltige Verbesserungen zu erreichen. Die Psychologin plädiert dafür, die tief verwurzelten Überzeugungen, die Frauen in ihrer beruflichen und persönlichen Entwicklung hemmen, zu erkennen und bewusst zu hinterfragen. Nur wenn Frauen ermutigt werden, alte Denkmuster abzulegen, kann sich ihre Arbeitsrealität langfristig verbessern.

Silke Rusch, erfahrene Führungskraft und Mutter von vier Kindern, benennt in „Women at work“ die verborgenen Muster, die Frauen bremsen, und bietet praxiserprobte Methoden zur Überwindung dieser Barrieren. Das Buch erscheint am 13. März im Haufe Verlag.

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